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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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verpasst. Und jetzt saß er da, ein alter Mann ohne Familie, und blickte verzagt in den Himmel, just da die Walküren die Gefallenen nach Walhalla brachten.
    Es war erstaunlich, wie schnell man eine Flasche Rotwein leeren konnte. Die Platte war noch nicht zu ihrem Ende gekommen, doch die Flasche wies nicht einmal mehr den kleinsten Rest Wein auf. Und eigentlich hätte der Erlauer doch seine Wirkung tun müssen, doch er, Bronstein, spürte nichts. Vielmehr: Er spürte genug. Den Schmerz nämlich, den er hatte betäubenwollen. Den Weltschmerz. Den Lebensschmerz. Den allumfassenden, grauenhaften Schmerz, der sich so unerträglich ausbreitete, dass ihm nicht beizukommen war. Nicht mit Wein jedenfalls. Ob noch irgendwo Schnaps im Haus war? Umständlich zwängte sich Bronstein aus seinem Sitzmöbel. Merkwürdig, ihm schwindelte. Unsicher drehte er sich nach links, um den Weg in die Küche einzuschlagen. Er stolperte, fing sich gerade noch auf, indem er sich am Türstock anhielt. Der Boden war doch wirklich in geradezu tückischer Weise flach!
    Der Wein musste gebrochen gewesen sein, ohne dass er, Bronstein, es gemerkt hatte. Anders war es ja nicht zu erklären, dass er plötzlich so heftige Kopfschmerzen an sich wahrnahm. Und die Beine fühlten sich auch so gummiartig an, am besten, er setzte sich wieder nieder. Hoppala, der Sessel stand doch eben noch gar nicht da. Wo ist der Diwan? Wieso wird mir so schwarz vor den Augen? Und warum ist mir so schlecht? Der Wagner hat auch ausdirigiert, umso besser, wo ist der vermaledeite Diwan? Ach, hier, gut, ein wenig ruhen nur, ein klein wenig lasst uns tun und alles ist getan.

VII.
Freitag, 6. Juli 1934
    Als Bronstein die Augen aufschlug, meinte er, jemand opereriere ihn bei vollem Bewusstsein am Kopf. Er verspürte brennenden Durst und konnte trotzdem nicht einmal stöhnen, da seine Zunge am Gaumen festgeklebt zu sein schien. Hilflos ruderten seine Arme in dem Bemühen durch die Gegend, irgendwo Halt zu finden, um sich dergestalt hochhieven zu können, damit der ramponierte Leib wenigstens in eine sitzende Position kam. Endlich fand Bronstein ein Stück Matratze, an dem er sich festkrallen konnte. Unter unendlichen Mühen gelang es ihm, die Beine auf den Boden und den Kopf in die Höhe zu bekommen. Wie spät mochte es sein? Umständlich kramte er nach seiner Uhr, die er schließlich doch fand. Zehn Minuten nach sieben. Wann war er eingeschlafen? Er bildete sich ein, es war noch hell gewesen, als er in Morpheus’ Arme gerutscht war. Dann hätte er gut und gern zehn Stunden geschlafen. Er müsste sich ausgeruht fühlen, dachte er, doch alles, was er fühlte, war ein furchtbarer Kater. Langsam und vorsichtig erhob er sich nun gänzlich und wankte mit unsicheren Schritten Richtung Küche. Mit zittrigen Fingern nahm er ein Glas zur Hand und füllte es mit Wasser, das er sodann in gierigen Schlucken trank. Und gleich ein zweites hinterher. Dann erst ging er in sein Badezimmer, wo er sich seiner Kleider entledigte, um sich sodann mit kaltem Wasser zu übergießen.
    Sein Körper reagierte geschockt auf das kühle Nass, sofort begann er zu zittern, überall zeigte sich Gänsehaut, und sein Geschlecht, das konnte Bronstein deutlich im Spiegel, der an der Wand hing, sehen, schrumpfte auf absolute Minimalgröße. Aber wenigstens war er jetzt wieder leidlich munter.
    Eilig trocknete er sich ab und kehrte in die Küche zurück, wo er Kaffee zustellte. Während die Maschine ihre Arbeit verrichtete, begab sich Bronstein zu seinem Kleiderschrank, wo er das Gewand für den neuen Tag suchte. Er legte eine anthrazitfarbene Flanellhose und ein weißes Hemd bereit, dann ging er nochmals ins Badezimmer, um in dem kleinen Schränkchen, das sich neben dem Spiegel befand, nach einem Aspirin oder einem anderen schmerzmildernden Mittel zu suchen. Zu seinem Glück wurde er fündig und spülte die Tablette mit einem dritten Glas Wasser hinunter, ehe er den mittlerweile fertig gebrühten Kaffee in eine Tasse goss, deren Inhalt er dann langsam zu sich nahm. Nach einer kleinen Weile fühlte er sich stabil genug, die erste Zigarette des Tages zu riskieren, und so lehnte er nun selbstvergessen an der Spüle und rauchte.
    Plötzlich tauchten Erinnerungsfetzen aus der vergangenen Nacht auf. Er hatte wüste Träume gehabt, in deren Zentrum, dessen war er sich sicher, Eva gestanden war. Nein, daran dachte er besser nicht, es wäre nicht klug, den neuen Tag so desaströs zu beginnen, wie der alte geendet hatte. Abrupt

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