Tacheles
sich eingestehen, Holzer konnte ihm alles erzählen, er würde stets so klug bleiben wie zuvor. Cerny aber verstand den Wink seines Chefs und übernahm nun die Gesprächsführung. Je länger er und Holzer über Bilanzen, Kennzahlen und andere betriebswirtschaftliche Termini diskutierten, umso mehr klinkte sich Bronstein aus dem Gespräch aus. Er vermochte nicht mehr zu sagen, ob Holzer nun aus ökonomischen Gründen ein Motiv haben konnte oder nicht, das musste ihm später Cerny verraten.
„Die Firma hat doch in den letzten Wochen und Monaten viele Arbeiter entlassen“, hörte er Cerny nun sagen, „glauben Sie, dass einer der Arbeiter ein Motiv für diese Tat haben könnte?“
Bronstein dachte nach. Hatten sie diese Frage schon bei ihrem ersten Treffen mit Holzer gestellt? Er konnte sich einfach nicht mehr erinnern, es war peinlich.
Natürlich sprudelte Holzer jetzt wie eine Gebirgsquelle. Im Gegensatz zu irgendwelchen ökonomischen Motiven, die keineswegs existieren würden, wäre diese Vermutung geradezu naheliegend, zumal es sich seinerzeit nicht habe vermeiden lassen, auch viele Arbeiter einzustellen, deren Gesinnung staatsfeindlich und durch und durch marxistisch gewesen sei. Dank der entschlossenen Haltung der Regierung sei diese Bedrohungnun aber ein für alle Mal gebannt, weshalb man auch seitens der Firma alle Elemente entfernt habe, welche es an staats- und wirtschaftsbejahender Einstellung hätten mangeln lassen. Dass sich unter den so Entfernten sicherlich auch besonders radikale Kräfte befänden, die vor der Anwendung physischer Gewalt nicht zurückschreckten, sei dann ja wohl anzunehmen, schloss Holzer sein Plädoyer.
Bronstein war müde. Unendlich müde sogar. Der Fall wurde immer verworrener, und mit jedem neuen Tag fühlte er sich mehr außer Stande, diesen gordischen Knoten zu lösen. Der alte Demand war nun schon eine Woche tot, und nichts deutete darauf hin, dass man beim Ermitteln des oder der Täter auch nur einen Schritt weitergekommen wäre.
Bronstein bedeutete Cerny, das wäre es vorläufig, und verabschiedete sich eilig von Holzer. Wieder auf der Straße, blickte er auf die Uhr und wandte sich dann an den Major.
„Ich denke, diese Woche habe ich genug Überstunden gemacht. Ich mache heute früher Schluss.“
Cernys Gesicht verriet Überraschung.
„Ja“, fuhr Bronstein fort, „ich brauche eine Luftveränderung. Ich bin, ich gebe es zu, völlig überfordert. Dieser Fall weist so viele Irrungen und Wirrungen auf, dass ich nicht mehr zu sagen weiß, wo wir ansetzen sollten. Ich brauche ein wenig Abstand, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und die Dinge in ihrer Gesamtheit sehen zu können. Außerdem ist es da in der Stadt viel zu heiß, das brennt einem ja das Gehirn weg.“
Wie um seine Worte zu unterstreichen, wischte sich Bronstein mit seinem Stecktuch über die Stirn. Cerny betrachtete ihn schweigend, was Bronstein zum Anlass nahm, sich weiter zu erklären: „Holzer, der junge Demand, die junge Demand, irgendwelche Arbeiter gleich welcher Couleur, da kennt sich doch niemand mehr aus. Ich muss einfach die Fäden entwirren,und das kann ich nicht, wenn ich zu nahe am Gesamtbild stehe. Weißt was, ich fahr auf den Semmering.“
Als wäre diese Idee schon die Lösung des Problems, erhellte sich Bronsteins Gesicht. Er klopfte Cerny ermunternd auf die Schulter, wünschte ihm ein schönes Wochenende und meinte, man sehe sich in aller Frische am Montag wieder. Cerny blieb wenig mehr, als die Worte seines Chefs entsprechend zu erwidern. Und schon setzte sich Bronstein Richtung Walfischgasse in Bewegung.
Kaum zu Hause angekommen, griff er zum Telefon und ließ sich mit dem Hotel „Panhans“ verbinden. Dort fragte er nach, ob noch ein Zimmer frei sei, was zunächst abschlägig beschieden wurde. Nun, das war nicht weiter verwunderlich im Hochsommer, doch für einen alten Polizeioberst würde sich immer ein Kämmerchen finden, wenn er nur seine Karten richtig ausspielte.
Bronsteins Atout hieß Kvitek. Der allseits anerkannte Universitätslehrer und Schriftsteller war ihm eng verbunden, seit Bronstein seiner Tochter in einer delikaten Angelegenheit beigestanden war. Diese hatte sich vor einiger Zeit während der Sommerfrische am Semmering eines allzu lästigen Verehrers aus bayrischen Landen erwehren müssen, der erst von ihr abgelassen hatte, als Bronstein energisch dazwischengetreten war. Kvitek war darob so erfreut gewesen, dass er Bronstein seiner ewigen Verbundenheit
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