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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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er auf Cernys Anruf warten wollte.
    Der kam kurz nach 19 Uhr. Cerny berichtete, dass Murer unmittelbar nach Feierabend in ein Gasthaus gegangen war, wo er seitdem ein Bier nach dem anderen trinke, ohne zu irgendjemandem Kontakt aufzunehmen: „Er sitzt einfach still da und lässt ein Krügel nach dem anderen die Kehle hinunterrinnen.“
    „Gut, meld dich wieder, wenn es etwas Neues gibt“, sagte Bronstein nur, um sich sodann wieder den Debrezinern zuzuwenden, die der Portier aus der Gefängnisküche geholt hatte.
    Zwei Stunden später war Cerny wieder am Telefon. Er berichtete, dass Murer weiterhin ein Bier nach dem anderen trinke, sodass es mittlerweile erstaunlich sei, dass er immer noch aufrecht an der Bar stehe. Bronstein erkundigte sich nach Cernys Standort und kündigte ihm dann an, er werde ihn in einer halben Stunde ablösen.
    In der verrauchten Spelunke hatte Bronstein Mühe, sich zu orientieren. Für einen Augenblick fürchtete er, Murer würde ihn zuerst sehen und auch noch erkennen, doch der Mann lehnte einfach an der Schank und starrte wie betäubt auf die Glasreihen dahinter. Bronstein machte die Nische aus, in der sich Cerny vergraben hatte, und eilte auf diese zu.
    „Wie schau’ ma aus?“
    „Ich hab noch nie jemanden gesehen, der so viel Bier verträgt. Er ist jetzt sicher schon beim achten oder neunten Krügel. Die ganze Zeit über hat er mit keinem einzigen Menschen auch nur ein Wort geredet. Selbst die neue Bestellung zeigt er tonlos an, indem er das leere Glas hochhebt. Vor allem aber war er nur ein einziges Mal am Pissoir.“
    „Na der muss eine Blase haben, habe die Ehre!“
    „Ja, der Kerl ist offenbar ein echter Kampftrinker.“
    „Na ja, das ist ja die wesentliche Qualifikation für einen Nazi.“
    „Das – und effizientes Prügeln.“
    Bronstein grinste: „Da hast auch wieder Recht. Und jetzt schau, dass du nach Hause zu den Deinen kommst. Ich mach das da schon.“
    „Das ist wirklich nett, Oberst.“ Cerny erhob sich und drückte seinem Vorgesetzten die Hand. Dann griff er nach seinem Portemonnaie, doch Bronstein winkte nur ab: „Das geht auf Regimentskosten.“
    Cerny nickte ihm noch einmal zu und verließ dann das Lokal. Bronstein signalisierte dem Mann hinter der Schank, er wolle ein Bier, und steckte sich dann eine „Donau“ an. Um sich die Zeit zu vertreiben, nahm er die Turf-Zeitung zur Hand, die hinter ihm an der Wand hing, doch er konnte nicht behaupten, dass ihn diese auch nur im Geringsten ansprach. Er würde nie verstehen, was jemand an diesem Kult um Pferderennen finden konnte. Sicher, es war nicht unnett, das eine oder andere Mal ein paar Groschen auf einen bestimmten Zieleinlauf zu setzen, doch ein solches Hobby derart akribisch zu betreiben, dass man im Vorfeld des Rennens dem Pferd gleichsam schon beinahe den Puls fühlte, war fraglos übertrieben. Entweder ein Gaul war schnell – oder er war es eben nicht. Und daran änderte auch der Umstand nichts, dass der Vater des Gauls selbst einmal Derbys gelaufen war. Für ihn jedenfalls nicht, dachte Bronstein. Aber das war wohl wie bei den Fußball-Wetten. Wenn er schon einmal einen Schilling springen ließ, dann setzte er nach Gefühl und nicht nach irgendwelchen statistischen Angaben. Ihm war herzlich egal, wie lange Rudolfshügel schon nicht mehr gegen die Vienna gewonnen hatte. Wenn er den Burschen eine Sensation zutraute, dann setzte er auf sie, sonst eben nicht. Aber letztlich war ihm das alles herzlich egal. Er hatte noch nie irgendwo eine Summe gesetzt, die den Preis für ein brauchbaresGabelfrühstück übertroffen hätte, und so konnte er es sich auch jederzeit leisten, den Einsatz zu verlieren. Und wenn er doch gewann, dann konnte er sich zur Feier des Tages eine Kleinigkeit gönnen, und das war es dann auch schon wieder. Auf diese Weise lief man niemals Gefahr, in ernste Probleme zu geraten.
    Bronstein dämpfte die Zigarette aus und warf einen flüchtigen Blick zur Schank hin, wo Murer eben ein weiteres Bier orderte. Der Abend würde lang werden, dachte sich Bronstein und überprüfte, über wie viele Zigaretten er noch verfügte.
    Wiewohl er sehr haushälterisch mit seinem Bier umgegangen war, verfügte er nach einer guten Weile über keinen einzigen Tropfen mehr. Doch Murer machte nicht die geringsten Anstalten, das Lokal zu verlassen. Also orderte Bronstein ein weiteres Glas, beglich bei dieser Gelegenheit allerdings gleich die gesamte Rechnung. Irgendetwas sagte ihm, dass Murer es nun nicht mehr

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