Tacheles
von denen?“ Eva tat, wie ihr Mann ihr geheißen, und schüttelte dann tonlos den Kopf.
„Hab i mir eh denkt. Na, Herr Inspektor, da miassn S’ andere suchen, wenn’s bei uns was reißen woll’n. Weil wenn i die ned kenn, dann kennt die kaner do.“
Bronstein nickte nur, deutete einen Gruß an und machte sich wieder auf den Weg zurück ins Präsidium, das mit einem Mal auf St. Helena lag.
Und wie Napoleon auf jenem kargen Eiland im Atlantik fühlte er sich reichlich einsam. Cerny war nicht im Büro, und auch sonst fand sich in den Gängen niemand, mit dem sich ein Gespräch gelohnt hätte. Bronstein rief bei der Spurensicherung an, ob die Schuhe der beiden Nazis schon untersucht wordenseien, doch wie nicht anders zu erwarten, gab es noch kein Ergebnis. Bronstein starrte abwechselnd auf seinen Schreibtisch und auf die Wanduhr, doch nirgendwo ließ sich auch nur die kleinste Veränderung erkennen. Die Zeiger der Uhr schienen an ihren Positionen festgeschraubt, und der Aktenberg auf der Schreibfläche zeigte nicht das geringste Anzeichen von Erosion. Bronstein überlegte, ob er sich die Mappe mit den wirtschaftlichen Kennzahlen der Firma Demand zu Gemüte führen sollte, doch er wusste, er würde daraus ohnehin nicht schlau werden. Er zündete sich eine „Donau“ an und sah zum Fenster hinaus. Eigentlich ein schöner Tag, doch welchen Nutzen sollte er daraus ziehen? War eigentlich diese Uhr stehengeblieben? Es konnte doch unmöglich sein, dass der Dienstschluss immer noch so weit entfernt war! Bronstein versuchte sich wieder auf den Fall zu konzentrieren, doch seine Gedanken wollten sich nicht ordnen lassen, immer wieder schweiften sie ab und kreisten um wesentlich profanere Dinge als um die Ermittlungen in der Causa Demand.
So geht das nicht, sagte sich Bronstein schließlich und erhob sich schwerfällig aus seinem Stuhl. Er trat zur Tür, sah sich noch einmal um und verließ dann sein Büro. Der Tag war abgehakt, es blieb nur, ihn möglichst würdevoll abzuschließen. Er würde zum Volksgarten schlendern, dort beim Theseustempel die Rosen beschnuppern und sich ausmalen, wie es sein würde, wenn er erst einmal im Ruhestand war. Und dann würde er nach Hause gehen, eine weitere Flasche Erlauer öffnen und Vergessen suchen. Ob er zu viel trank in letzter Zeit? Ach was, die Leber wächst mit ihren Aufgaben.
IX.
Dienstag, 10. Juli 1934
Bronstein erfuhr es zunächst im Kaffeehaus und dann aus den Nachrichten im Radio. Der Kanzler hatte seine Regierung umgebildet. Innenminister Kerber wurde abgelöst, ebenso verloren der ehemalige Kanzler Ender und der gewesene Sozialminister Schmitz ihre Ämter. Am erstaunlichsten allerdings war, dass Emil Fey, der vermeintlich mächtige Mann der Wiener Heimwehr, nun auch noch als Sicherheitsminister gehen musste. Schon vor zwei Monaten hatte er seinen Vizekanzlerposten an seinen Intimrivalen Starhemberg verloren, jetzt ging er auch noch seines Ressorts verlustig. Fey blieb zwar Minister, aber er hatte kein Portefeuille mehr. Bronstein versuchte in Erfahrung zu bringen, wer nun für die öffentliche Sicherheit zuständig sein würde. Im Büro kursierte das Gerücht, Carl Karwinsky sei als Staatssekretär nun für die innere Sicherheit verantwortlich, erhalte aber keinen Ministerrang. Bronstein versuchte, den Namen für sich einzuordnen, kam aber zu keinem Ergebnis. Erst Cerny half ihm auf die Sprünge. Karwinsky war der Sicherheitsdirektor von Niederösterreich, mithin also ein Kollege. Er galt als ideologischer Scharfmacher, ein Tiroler mit geradezu missionarischem Drang, alles auszumerzen, was nicht bedingungslos der Idee des vaterländischen Ständestaates folgte. Bronstein konnte nicht behaupten, dass ihm diese Perspektive gefiel. Aber das war ja nichts Neues. Seit den Tagen Walter Breiskys – und die waren inzwischen zwölf Jahre her – war der jeweilige Nachfolger stets noch schlechter gewesen als sein Vorgänger. Doch derartige Überlegungen behielt man besser für sich. Nicht, dass sie eventuell der Karriere abträglichwären, nein, in Zeiten wie diesen konnten sie sogar der Gesundheit abträglich sein. Karwinsky, was sollte man von dem also halten? Am besten gar nichts, am besten, man hielt sich weiter an diejenigen, die tatsächlich das Sagen hatten. Minister kamen und gingen, die Präsidenten aber, die blieben auf ewig.
„Das gibt es doch nicht!“
Cernys Ausruf schreckte Bronstein aus seinen Gedanken. „Was gibt es nicht?“
„Ich hab den Bericht von der
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