Tacheles
lange machen würde. Und sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Die Uhr zeigte zwanzig Minuten nach zehn Uhr abends, als Murer eine Hand voll Münzen auf die Schank warf, dem Wirten kurz zunickte und mit erstaunlich sicherem Schritt dem Ausgang zustrebte. Bronstein, der sich zur Sicherheit hinter der Turf-Zeitung versteckt hatte, wartete noch einen Augenblick, dämpfte dann seine Zigarette aus und folgte dem Mann ins Freie.
Vor dem Lokal blickte Bronstein nach links und nach rechts, doch er konnte Murer nirgendwo ausfindig machen. Rein intuitiv wandte er sich nach rechts – welche Richtung würde ein Nazi wohl einschlagen, dachte er bei sich – und stieß nach einigen Schritten auf einen Durchgang, der den Weg in eine kleine Seitengasse öffnete. Diese war überaus schlecht beleuchtet, und Bronstein hatte Mühe, sich zurechtzufinden. Er blieb stehen und lauschte. Auf dem Kopfsteinpflaster war nichts zu hören. So viel war nun einmal sicher, hier ging niemand. Und doch war er sich sicher, dass Murer hier irgendwo auf ihn lauerte.
Bronstein drückte sich an die linke Mauer und bewegte sich vorsichtig vorwärts. Dabei versuchte er, alle Seiten der Gasse im Auge zu behalten. Mit der linken Hand tastete er die Wand vor sich ab, während er gleichzeitig die rechte Seite der Gasse nach möglichen Verstecken absuchte. Er blickte kurz zurück, um sicherzugehen, dass Murer ihn nicht von hinten überraschte, und dann sofort wieder nach vorn. Seine linke Hand erfühlte einen Vorsprung, und instinktiv wandte Bronstein sein Gesicht dieser Seite zu. Gerade noch schnell genug, um die Faust auf sich zukommen zu sehen, aber nicht schnell genug, um ihr ausweichen zu können. Murers Rechte landete krachend auf Bronsteins Nase, sodass er selbst förmlich zurückgerissen wurde und Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. „Hob i di, du Scheißkiwara!“ Murers Stimme hatte nichts Menschliches an sich.
Bronstein achtete nicht näher darauf, er war zu sehr damit beschäftigt, sich seine Nase zu halten, aus der ein Strahl hellen Blutes schoss. Er tastete das Riechorgan ab und stellte anhand der merkwürdigen Stellung des Nasenbeins fest, dass dieses gebrochen sein musste. Er wollte eben Murer energisch zur Rede stellen, als dieser, der mittlerweile an ihn herangetreten war, ansatzlos die Rechte in seinem Magen vergrub. Bronstein verspürte sofort eine fürchterliche Übelkeit und hatte das Bedürfnis, sich zu übergeben. Das Blut quoll nun nicht länger nur aus der Nase, es bahnte sich auch seinen Weg in die Mundhöhle, sodass Bronsteins Unwohlsein sich verdoppelte.
„G’schissener Itzig, glaubst, i lass da ois durchgehn?“
Und noch ein Hieb traf Bronstein, diesmal an der rechten Schläfe, sodass er links gegen die Wand anschlug. Das war der Punkt, an dem seine Beine nachzugeben begannen. Bronstein suchte verzweifelt irgendwo Halt, doch vermochte er seinen Fall nicht zu verhindern.
„Bei mir kannst abmarkieren mit der Hundsmarken, depperter Blunz’nstricker. Wenn i mit dir fertig bin, dann hast ausg’schissen. Hast mi?“
Und Murer tat, als trete er einen Freistoß. Sein Fuß traf mit voller Wucht Bronsteins Schulter, und dieser kippte nach hinten. Er lag nun mit dem Rücken auf dem Straßenpflaster, während seine Beine merkwürdig verformt wirkten, da seine Füße unter seinem Hinterteil eingeklemmt waren. Bronstein wusste, es würde schwierig sein, aus dieser Lage wieder auf die Beine zu kommen.
„Jetzt brunzt di an, du Sau, gell!“ Murers Gesicht tauchte bedrohlich über dem Bronsteins auf, sodass dieser förmlich den stinkenden Atem seines Widersachers spürte. Murer wich zurück, nahm kurz Schwung und trat Bronstein dann mit aller Kraft in die Seite. Bronstein wollte schreien, doch seinem Mund entrang sich nur ein Wimmern.
„Du wüst wiss’n, ob mia den Jud’n g’mocht hab’n? Na, wos glaubst? Woa’ ma’s?“ Und Murer landete einen weiteren schweren Treffer im Bereich von Bronsteins Brustkorb. Der Schmerz hatte nun vollständig von Bronstein Besitz ergriffen. Er hatte keine Macht mehr über sich und war Murer völlig ausgeliefert. Er registrierte, wie alle Spannkraft aus seinem Körper wich und er wie ein nasser Sack dalag. Urinierte er bereits? Wenn ja, dann konnte er es nicht verhindern. Er war absolut machtlos. Und wieder zuckte sein Leib kurz zusammen, da Murer ein weiteres Mal auf ihn eingetreten hatte.
„Saujud, dreckiger! Am besten is, du verreckst.“
Das war wirklich peinlich. Da war er ein
Weitere Kostenlose Bücher