Tacheles
Kunst mehr helfen. Seien Sie lieber froh, dass Sie sich nichts gebrochen haben und dass keine Organe verletzt wurden.“
Der Arzt klang so bestimmt, dass Bronstein keinen Widerspruch wagte. Er fühlte sich ohnehin so schwach, dass er am liebsten gleich wieder eingeschlafen wäre. Also nickte er nur und schloss wieder die Augen.
„Schönen Tag noch“, murmelte der Arzt und verschwand wieder auf den Korridoren des Krankenhauses.
Als Bronstein neuerlich erwachte, war es tiefe Nacht. Er registrierte, dass sein fürchterliches Kopfweh ein wenig nachgelassen hatte. Außerdem verspürte er Hunger. Doch er war sich nicht sicher, ob er um diese Stunde nach einer Schwester klingeln durfte. Im matten Licht, das vom Korridor ins Zimmer drang, versuchte er, so etwas wie ein Nachtkästchen neben seinem Bett ausfindig zu machen, hoffend, darauf würde etwas Essbares platziert sein. Doch stellte er rasch fest, dass sein Kopf immer noch nicht so beweglich war, um die volle Drehung, die dazu nötig gewesen wäre, an die Wand hinter ihm zu spähen, vollführen zu können. Bronstein versuchte das Hungergefühl zu unterdrücken und schlief alsbald wieder ein.
Noch im Schlummern stiegen ihm intensive Gerüche in die Nase. Er öffnete die Augen und konnte die Krankenschwester diesmal schon deutlicher erkennen. Sie teilte offenbar gerade eine Mahlzeit aus, die der Patient neben ihm begierig entgegennahm. Bronstein stemmte seinen linken Arm in die Höhe und hüstelte, um die Aufmerksamkeit der Stationsschwester auf sich zu ziehen. Sein Krächzen ließ die Frau sich nach ihm umsehen, und Bronstein erntete für seine Bemühungen ein Lächeln.
„Sind wir vielleicht hungrig?“
Bronstein strengte sich an, um ein Nicken zustandezubringen.
Die Schwester fuhr ihr Wagerl an sein Bett, hob Bronstein vorsichtig an, sodass er annähernd in eine sitzende Position kam, was ihm dennoch Schmerzen verursachte, sodass er abermals leise stöhnte. Die Schwester sah ihn kurz an, kam dann aber zu dem Schluss, dass so weit alles in Ordnung sei, und stellte ein kleines Tischchen auf das Bett. Darauf platzierte sie einen Teller, auf dem sich, wie Bronstein allmählich erkennen konnte, etwas gedünstetes Gemüse und eineinhalb Schöpfer Erdäpfelpüree befanden. Schwerfällig hob er die Hand, deutete auf die Speisen und murmelte: „Etwas deftig für ein Frühstück.“
„Frühstück? In ein paar Minuten ist es zwölf Uhr. Da gibt’s nun einmal Mittagessen.“
Bronstein überlegte. Hatte er wirklich so lange geschlafen?
„Aber es ist doch Freitag, oder?“
„Ja. Was glauben S’, warum’s kein Fleisch gibt? Essen S’ das, und in zwei Stunden kommt dann der Herr Doktor zur Visite.“ Die Schwester schob ihren Wagen aus dem Zimmer, ohne sich weiter um den Patienten zu kümmern. Bronstein starrte eine Weile unverwandt auf das Essen, griff dann unsicher nach einem Karottenstück und schob es sich umständlich in den Mund. Nach den ersten vorsichtigen Kaubewegungen stellte er fest, dass er mit der Nahrungsaufnahme keinerlei Probleme hatte, und mit großer Gier begann er das Gericht zu sich zu nehmen. Viel zu schnell war der Teller leer. Bronstein verspürte nagenden Hunger und hätte einiges für einen Nachschlag gegeben. Er haderte mit sich selbst. Eigentlich hatte er besonnener vorgehen wollen, doch sein leerer Magen hatte ihn dazu getrieben, alles auf einmal aufzuessen, und so lag er nun da und wusste nicht, wie er es bis zum Abend ohne Nahrung schaffen sollte.
Immerhin aber, so stellte er nach einer weiteren Überlegung fest, war er so weit wiederhergestellt, dass er nicht sofortwieder einschlief. Keine Frage, er befand sich auf dem Weg der Besserung, wenn er auch immer noch überall Schmerzen verspürte. Doch er wertete es als gutes Zeichen, dass er Langeweile empfinden konnte. Ein wenig Lektüre hätte er in diesem Augenblick durchaus geschätzt, und wenn es auch nur ein „Rolf Torring“-Heft gewesen wäre. So aber musste er Löcher in die Luft starren und darauf warten, dass ihn am Nachmittag der Arzt besuchen kam.
Es war kaum zu glauben, wie langsam die Zeit verging, wenn man absolut nichts zu tun hatte. Wenn er wenigstens Besuch bekäme! Doch wusste überhaupt jemand, wo er sich befand? Der Gedanke durchzuckte ihn wie ein Blitz, und voller Schrecken läutete er nun doch nach der Schwester. Diese kam, ein wenig unwillig, nach einer Weile ins Zimmer. „Was gibt’s?“, kam es unwirsch aus ihrem Mund. Anscheinend verflog die Höflichkeit
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