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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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des Personals in dem Augenblick, da man als Patient aus der Reihe tanzte.
    „Mir ist erst jetzt bewusst geworden“, stammelte Bronstein, „dass ich ja schon drei Tage hier liege. Weiß mein Büro, wo ich bin?“
    Die Schwester schien erleichtert darüber, dass der Mann keine absonderlichen Wünsche äußerte. „Ja, natürlich“, beruhigte sie Bronstein, „wir haben das Sicherheitsbüro in dem Augenblick informiert, als wir Ihre Personalien festgestellt hatten, Herr Oberst. Ein Kollege von Ihnen, ein Herr Cerny, war auch schon zweimal da, gestern und heute am frühen Morgen. Aber der Herr Doktor meinte, es wäre besser, Sie schlafen zu lassen. Sie können also ganz beruhigt sein. Entspannen Sie sich wieder und warten Sie, bis der Herr Doktor kommt.“ Und nach einer kleinen Pause: „Wollen Sie vielleicht ein Glas Wasser? Und eine Rätselzeitschrift?“
    Bronstein bemühte sich um ein Lächeln: „Beides wäre sehr nett. Danke.“
    Einige Minuten später brütete Bronstein über so essenziellen Fragen wie „Mörder Caesars, sechs Buchstaben“ oder „Hauptstadt von Lettland, vier Buchstaben“, wobei der erste Buchstabe der Hauptstadt gleichzeitig der zweite des Mörders war. Es wurde wirklich Zeit, dass der Doktor kam.
    Bronstein hatte mit Müh und Not ein Kreuzworträtsel geschafft, als anhaltender Lärm am Korridor das Kommen der Visite ankündigte. Und schon schwebte der Arzt ins Zimmer, sodass sein weißer Mantel förmlich durch die Gegend flatterte. Wie schon tags zuvor gab sich der Mediziner betont locker und unbeschwert, schickte nach allen Seiten sein „Begrüße Sie“ in die Welt und hielt sich ansonsten mit konkreten Aussagen weitgehend zurück.
    „Ah, der Herr Oberkommissar, begrüße Sie, wie ist das werte Befinden?“
    „Oberst tut’s auch. Und, ja, es geht so.“
    „Trefflich, trefflich. Gegessen haben wir schon, hab ich gehört?“
    „Ich habe gegessen. Wie das bei Ihnen ist, weiß ich nicht.“
    „Ja, sehr gut, wer wieder herumwitzeln kann, dem geht’s schon wieder ganz gut. Wir werden schauen, dass die Gehirnerschütterung gut ausgeheilt wird, für die Ripperln haben wir ein kleines Korsetterl, und die übrigen Blessuren, da werden die Salben schon das ihrige tun, gell. Also Kopf hoch, alles wird gut. In einer Woche sind wir wieder daheim bei der Frau Mama, gell.“
    Bronstein empfand das Geschnatter des Arztes als unangenehm, doch er fühlte sich noch zu matt, um dem Gerede ernsthaft etwas entgegenzusetzen, und so nickte er nur, während sich der Arzt schon dem Bettnachbarn zuwandte, der, wie Bronstein zu vernehmen glaubte, wegen einer Darmverstimmung im Spital lag. Bronstein seufzte resigniert und nahm wieder sein Rätselheft zur Hand. Englischer Bühnenautor, elf Buchstaben.
    Nach einer Weile war er es leid, sich mit derartigen Fragen zu belasten. Er spürte, wie sein Kopf allmählich wieder zu schmerzen begann, und so legte er die Zeitschrift beiseite und sich selbst wieder flach hin. Dabei glaubte er, nur einmal kurz die Augen geschlossen zu haben, doch als er sie wieder öffnete, da gab es auch schon das Abendessen. Bronstein verzog ob der Liptauerbrote mit Gurkerl den Mund, doch sein Hunger war stärker als seine mentale Reservation, und so aß er auch diese Mahlzeit schließlich mit großem Genuss. Dazu trank er den kredenzten Hagebuttentee und ertappte sich bei der Frage, was Cerny wohl gerade machte.
    Ob man Murer erwischt hatte? Wussten sie im Sicherheitsbüro überhaupt, dass es Murer gewesen war, der ihn so zugerichtet hatte? Dunkel erinnerte sich Bronstein daran, den Namen gesagt zu haben, ehe er von seiner Ohnmacht überwältigt worden war. Doch ob sich diese Information wirklich bis zu den entscheidenden Stellen durchgesprochen hatte, das vermochte er freilich nicht zu sagen. Er hoffte inständig, dass am Wochenende auch Besuchszeit vorgesehen war und dass Cerny es einrichten mochte, ihn aufzusuchen, denn dann würde er endlich erfahren können, was es in der Causa Demand Neues gab.

XI.
Samstag, 14. Juli 1934
    Die Zeit nach dem Frühstück empfand Bronstein als besonders quälend. Eigentlich hatte er das Gefühl, schon wieder gesund genug zu sein, um das Krankenzimmer zu verlassen, doch wurde ihm das seitens des Arztes striktest untersagt. Dieses Verbot traf Bronstein umso härter, als er erstmals seit drei Tagen wieder ein heftiges Verlangen nach einer Zigarette verspürte. Gerne wäre er auf den Korridor gegangen, um sich dort eine „Donau“ anzuzünden. Doch

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