Tacheles
zurück.
Aus dieser Apathie riss ihn erst das Mittagessen, das wie stets schon recht früh serviert wurde. Bronstein fragte sich, ob er überhaupt Hunger hatte, doch letztlich obsiegte das Magenknurren über die Schwermut, und so labte er sich an den Fisolen und der abgebratenen Knackwurst. Er war eben dabei, das Zwetschkenkompott zu vertilgen, als er plötzlich Cernys Stimme hörte.
„Hallo, Oberst! Na du machst Sachen!“
Bronstein konnte erstmals an diesem Tage lächeln. „Cerny! Na das freut mich aber. Endlich ein nettes Gesicht!“
Cerny zwinkerte mit dem rechten Auge: „Die Krankenschwester ist doch eh ganz passabel.“
„Glaub mir, das siehst du anders, wenn sie dir erst einmal ein Fieberthermometer in den Anus rammt.“
Cerny kramte in seiner Aktentasche und holte ein Buch hervor: „Ich habe dir etwas mitgebracht. Ich weiß, die Tage können einem hier recht lang werden.“
Bronstein nahm den Band entgegen und besah ihn sich. Es war Stefan Zweigs Biografie des französischen Polizeiministers Fouché. Bronstein lächelte. Seit dieses Buch vor rund fünf Jahren erschienen war, hatte er sich immer wieder vorgenommen, es zu lesen. Nun hatte er endlich die Gelegenheit dazu. Er nickte Cerny zu und war sichtlich gerührt.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Danke.“
„Keine Ursache. Hab ich gern gemacht.“
Bronstein kämpfte gegen seine Rührung an. Am ehesten, so wusste er, würde ihn der Fall ablenken, und so räusperte er sich: „Habt ihr dieses Schwein erwischt?“
„Ja, ja, er sitzt genauso wie sein feiner Freund auf der Elisabethpromenade. Natürlich nicht in derselben Zelle, da haben wir schon aufgepasst. Und selbstverständlich lassen wir die beiden dunsten, bis du wieder auf dem Damm bist, Oberst. Das Vergnügen nehmen wir dir nicht.“
„Das ist nett von euch. Gibt es sonst eine neue Entwicklung in der Angelegenheit?“
„Eigentlich nicht. Ich hab die Sekretärin von der Firma noch einmal ins Gebet genommen, die war mehr als kooperativ.“
„Kann ich mir denken“, schmunzelte Bronstein, der sich lebhaft daran erinnerte, wie die Vorzimmerpflanze Cerny angehimmelt hatte. Doch dieser überging die anzügliche Anspielung und sprach einfach weiter: „Sie berichtete mir, dass der junge Demand und der Prokurist die ganze Zeit zusammensteckten, was einerseits nicht sonderlich verwunderlich, andererseitsaber doch irgendwie verdächtig ist, also zumindest im Lichte unserer Ermittlungen.“
„Wusste sie auch etwas über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Firma?“
„Sie hat zumindest mitbekommen, wie sehr sich der alte Demand über die Eigenmächtigkeiten der beiden aufregte. Aber noch etwas ist in diesem Zusammenhang von Belang.“ Cerny machte eine dramatische Pause.
„Nämlich was?“, erlöste ihn Bronstein aus seinem selbst gewählten Schweigen.
„Sie hat mitbekommen, wie der Alte den Jungen wegen dessen Intervention bei der jungen Demand angebrüllt hat. Der Alte habe geschrien, wenn er, also der Junge, noch einmal das Wienerl wegen irgendetwas angeht, egal ob beruflich oder privat, dann kündigt er ihm die Wohnung.“
„Das heißt, das Fräulein Alwine dürfte die Wahrheit gesagt haben“, resümierte Bronstein.
„Ja, das sehe ich auch so“, entgegnete Cerny, „und für den jungen Demand haben wir dafür ein Motiv mehr.“
„Richtig. Den sollten wir auch weiter im Auge behalten. Den und seinen feinen Prokuristen, denn ich glaube auch weiterhin nicht, dass die beiden blöden Nazischläger allein auf irgendwelche Ideen kommen.“
„Ganz meine Meinung“, pflichtete ihm Cerny bei.
„Sag, willst mir nicht helfen?“ Bronstein hatte sich umständlich aufgerichtet und plötzlich das Thema gewechselt.
„Wobei?“
„Ich brauch jetzt einen Span.“
Cerny hatte verstanden. Jemand, der seit Tagen keine Zigarette geraucht haben konnte, der war diesbezüglich mehr als überfällig. „Klar“, sagte er daher nur und schickte sich an, Bronstein aus dem Bett zu helfen.
„Herr Major Cerny?“
Ohne dass es den beiden aufgefallen wäre, stand plötzlich die Krankenschwester hinter ihnen. Cerny drehte sich um: „Ja?“
„Da ist ein Anruf für Sie. Dringend, heißt es.“
Cerny bedeutete Bronstein, er möge kurz warten, und folgte sodann der Schwester. Bronstein zog sich umständlich den Schlafrock an und kramte seine Zigaretten aus dem Nachtkästchen. Dann saß er erwartungsvoll am Bettrand.
Cerny kam zurück. Sein Gesicht wirkte sorgenvoll.
„Ein Mord,
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