Tacheles
ein gewisser Kornelius Zimmer, von dem es heißt, er sei ein illegaler Nazi. Ich muss mir das leider anschauen. Net bös sein, Oberst. Ich komm wieder, sobald ich kann.“
Bronstein bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen. Er hatte sich schon so auf seine Zigarette gefreut. Doch die Pflicht ging natürlich vor. „Halt mich auf dem Laufenden“, bat er Cerny deshalb, ehe er die Hand zum Gruß hob und ein Winken andeutete.
Die Zigaretten mussten also warten. Bronstein verstaute seinen Leib wieder im Bett und nahm das Buch zur Hand, das Cerny ihm gebracht hatte. Fouché war ohne Frage eine faszinierende Persönlichkeit gewesen, doch welchen Weg er genau gegangen war, das vermochte Bronstein nicht zu sagen. Mit umso größerem Interesse machte er sich an die Lektüre.
XII.
Sonntag, 15. Juli 1934
Bronstein klappte das Buch zu. Es war direkt spannend gewesen. Fouché hatte wirklich alle Register gezogen, ein Machtmensch, wie man ihn selten fand. Bronstein bedauerte es außerordentlich, dass er das Buch ausgelesen hatte, und er gestand sich ein, dass er gerne weitere Zweig-Biografien gelesen hätte, vorausgesetzt, sie waren so gut wie jene, die er eben beendet hatte. Zu dem Ungemach, nicht länger Zweigs gelungenen Ausführungen folgen zu können, kam hinzu, dass es ihm nun an jeglicher weiterer Lektüre gebrach. Auch das Rätselheft hatte er mittlerweile vollständig bearbeitet, sodass ihm nichts weiter zu tun blieb, als darauf zu warten, dass es Abend wurde. Vielleicht aber, so sagte er sich, wäre es ihm an diesem Tag gegeben, endlich eine Zigarette zu rauchen. Er griff also nach seinem Schlafrock, legte ihn an und wuchtete seinen Körper von der Bettstatt. Mit kleinen, schlurfenden Schritten näherte er sich der Zimmertür, als diese plötzlich von selbst aufging. Das Gesicht des Tuchhändlers Duft grinste ihm entgegen.
„Jo oj wej, Herr Bronschtejn, wos fir ar Unglick! Do is des Massl fir an Kotznsprung weg, schon is der Ganev do. Allerweil hofft man, as kejn Unglick soll nit treffen, cholileh, men soll nit sejn af Zores, ober amol helft kein Gebet oich nit, Gott soll nit stroffn far der Reid. Glejch, wie ich hob gehert, bin ich ahergekimmen. Der Herr Cerny – a woiler, a feiner Mensch, der Herr Cerny – er hot mir derzeilt wegen dem, wos Aich hot getroffen.“
Bronstein prallte instinktiv zurück ob des Redeschwalls des Tuchhändlers, dem zu folgen er große Mühe hatte. Sovieler verstand, verdankte er Cerny den Besuch, der sich zudem wortreich darüber beklagte, dass ein Gebet mitunter auch folgenlos bliebe.
„Ja“, antwortete Bronstein schließlich, während er resigniert wieder zu seinem Bett zurückging, „es heißt zwar, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber mitunter lässt man sie besser fahren.“ Doch wiewohl er sich insgeheim darüber ärgerte, abermals um seine Zigarette gebracht worden zu sein, freute sich Bronstein doch, in dieser langweiligen Lage Besuch zu bekommen. Daher bemühte er sich um ein Lächeln: „Aber es ist eine wahre Freude, Sie hier zu sehen, Herr Duft. Wirklich, wie komme ich zu dieser Ehre?“
„Nu, ich bet Aich. Es is doch a Selbstverständlechkejt, a giter Koineh asa wie Ihr, men frägt doch, men will wissen, wenn an anderen fehlt eppes ... und derzu noch, in a Zejt, wie es is jetzt, musn mir sich doch halten in einem. Mir alle! Kegn jene, no, Ihr wejßt doch wemen ich mejn. Ober genug gebraiet. Wuss mocht Ihr? Es tut Aich noch eppes weh, cholileh?“
Bronstein zuckte wieder einmal innerlich zusammen. Nicht nur, dass ihn die Nazis immer mehr ins jüdische Eck drängten, jetzt vereinnahmten ihn die Juden auch noch von sich aus. Er fühlte sich nach wie vor nicht als Teil irgendeiner jüdischen Schicksalsgemeinschaft, doch es war nicht die Zeit, darüber eine Debatte zu beginnen. Zumal nicht mit einem Menschen, der eben einige Mühe auf sich genommen hatte, eine Person im Spital zu besuchen, die ihm kaum bekannt war. Eine solch feine Geste erwiderte man nicht mit haarspalterischen Diskussionen. „Es geht schon ganz gut. Die blauen Flecken tun mir natürlich ein wenig weh, doch das geht auch vorüber. Der Arzt sagt, in ein paar Tagen bin ich wieder der Alte.“
„Seht Ihr, ot dos is doch die Hoiptsach. As man lebt, derlebt men, danken Gott. Ich hob sich derloibt, mein teirer Herr Bronschtejn, Aich eppes mitzunejmen a Kleinigkeit.“
Duft kramte in seinem Mantel und zog ein Buch heraus, das er Bronstein in die Hand drückte. Lektüre war etwas, das er hier gut
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