Tacheles
nach langem Entzug.
Bronstein hatte diesen Augenblick jedenfalls so genossen, dass er die Zigarette richtiggehend marterte und sie erst ausdämpfte, als sie schon beinahe bis zu seinen Lippenheruntergebrannt war. Und wie immer nach Phasen langer Abstinenz zündete er sich gleich eine zweite Zigarette an, um schließlich erst nach der dritten festzustellen, dass er nun zur Ruhe gekommen war. Dann erst streckte er seine Beine weit von sich und nahm ein intensives Sonnenbad, dessen wohlige Wirkung er alsbald an sich konstatierte. Erstmals schmerzte sein Körper nicht mehr, und Bronstein wähnte sich praktisch ganz gesund.
Dieser Eindruck hatte sich am folgenden Tag verfestigt, an dem er schon beinahe in normalem Gang in den Hof gelangt war. Natürlich haperte es noch ein wenig mit der Kondition, doch auch das würde sich geben. Er unternahm einen kleinen Spaziergang durch den Spitalspark und mischte sich am Abend erstmals unter die Leute, die im Gemeinschaftsraum dem Kartenspiel frönten. Er fand sogar einen Patienten, der ein Schachspiel organisiert hatte, und zum ersten Mal, seit er im Spital gelandet war, verbrachte Bronstein einen angenehmen Abend, der genau darum auch viel zu schnell entschwand. In jeder Faser seines Körpers spürte er nun, wie es mit ihm aufwärts ging, eine Beobachtung, die auch der Arzt teilte, als er am Mittwoch zur Visite kam. Zwei Nächte würde man ihn sicherheitshalber noch hierbehalten, doch wenn keine neuen Fakten zutage träten, dann spräche absolut nichts dagegen, ihn am Freitagmorgen in häusliche Pflege zu entlassen.
Bronstein erklärte natürlich, zu Hause gut versorgt zu sein, und begann augenblicklich, die Stunden bis zum übernächsten Morgen zu zählen. Bei „Lage 42“ stand Cerny im Zimmer.
„Grüß dich, Oberst. Wie ist die Lage?“
„Ich kann mich wirklich nicht mehr beklagen. Die blauen Flecken sind fast abgeklungen, die Gehirnerschütterung ist weg, und nur die Knochen zieren sich noch ein wenig. Aber der Arzt sagt, übermorgen kann ich heim.“
„Na, das sind doch gute Neuigkeiten.“
„Ja, in der Tat. Am Wochenende werde ich mich noch ein wenig erholen, und am Montag bin ich dann in alter Frische wieder im Sicherheitsbüro. Da können wir uns dann die beiden Schurken in aller Ruhe vorknöpfen. Was gibt es übrigens Neues in unserem Fall?“
„Im Fall selbst gibt es eigentlich nichts Neues. Ich bin mir mittlerweile sicher, dass wir die junge Demand als Verdächtige ausscheiden können. Ich war noch einmal im Demand’schen Wohnhaus, und selbst die Ehefrau des jungen Demand hat die Darstellung ihres Mannes für mich völlig überzeugend bestätigt. Ich nahm sogar das Dienstmädchen der jungen Witwe, eine Tschechin übrigens, was mir die Sache sehr erleichterte, zur Seite und befragte sie. Und sie erzählte mir, dass sie praktisch während allen Treffen zwischen dem jungen Demand und seiner Stiefmutter die meiste Zeit im Zimmer war und dieses nur verließ, wenn sie aus der Küche neuen Tee oder neues Gebäck holen musste. Ich bin mir sicher, die beiden hätten sich anders verhalten, wenn da wirklich etwas zwischen ihnen wäre.“
„Ja“, antwortete Bronstein, „das glaube ich auch. Das Motiv in diesem Fall ist entweder wirtschaftlicher oder politischer Natur.“
„Weil du von Politik sprichst – kannst du dich daran erinnern, dass ich am Samstag wegmusste, weil es einen Mord gegeben hatte?“
„Ja.“ Bronstein setzte sich auf und wurde sofort neugierig. „Was ist das für ein Fall?“
„Anscheinend ein durch und durch politischer. Der Tote hieß Kornelius Zimmer, und wir haben mittlerweile herausgefunden, dass er ein aktiver Nationalsozialist war. Kurz vor seiner Ermordung hat er das Bezirkskommissariat Innere Stadt kontaktiert und in sehr aufgeregtem Ton erklärt, er müsse die Polizei warnen vor einem Attentat, das den gesamten Staat in Aufruhr versetzen werde. Auf entsprechende Rückfrage desBeamten habe Zimmer geantwortet, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, was seine Parteigenossen da planten. Der diensthabende Beamte ging vorschriftsmäßig vor und forderte Zimmer auf, zu ihm aufs Kommissariat zu kommen, was Zimmer aber aus Gründen der persönlichen Sicherheit ablehnte. Zu diesem Zeitpunkt war sich der Beamte eigentlich sicher, es mit einem Spinner zu tun zu haben, und legte den Fall, nachdem er die übliche kurze Aktennotiz gemacht hatte, ab. Nachdem wir den Toten gefunden hatten, erinnerte sich der Revierinspektor jedoch
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