Täglich frische Leichen
lieber
einen Arzt aufsuchen?« fragte er.
»Nein«, sagte ich schroff. »Wie
sollte ich einem Arzt das erklären?«
» Santa Maria «, meinte
Rafael ernüchtert. »Da hast du recht.«
»Bleibst du lange?« fragte ich.
»Sonst warte ich hier im Wagen.«
»Ich möchte, daß du mitkommst,
Mavis«, meinte er. »Nach allem, was vorgefallen ist, will ich dich nicht mehr
aus den Augen lassen.«
Wir gingen also ins Haus, wo
Rafael mich im Wohnzimmer allein ließ. Der Drink, den er mir bei Sterns
eingeflößt hatte, hatte ein bißchen geholfen, aber nun war nichts mehr von
seiner Wirkung zu spüren, und ich hatte nur einen Wunsch: mich ins Bett zu
legen und vier Wochen zu schlafen. Und das Wissen, daß so etwas ausgeschlossen
war, trübte meine Stimmung noch mehr.
Rafael kam mit Arturo herein,
der so widerlich aussah wie eh und je. Diesmal trug er ein weißes Hemd statt
des roten, aber die engen schwarzen Hosen und die hohen Schuhe waren dieselben,
inklusive Sporen.
Den Bruchteil einer Sekunde
lang glaubte ich, Marian Stern vor mir zu sehen, aber dann konzentrierte ich
mich auf das Mal an seiner Nase — es war also doch Arturo der Fabelhafte. Ich
bemerkte, daß seine Augen noch blutunterlaufener waren, woraus ich erfreut
schloß, daß meine Zwei-Finger-Behandlung ihre Wirkung nicht verfehlt hatte. Er
betrachtete mich ein Weilchen, dann deutete er eine Verbeugung an.
»Guten Abend, Miss Seidlitz«,
sagte er kalt.
»Auch Ihnen einen guten Abend,
Arturo«, erwiderte ich fröhlich. »Ich muß sagen, Sie sehen wieder einmal
fabelhaft aus!«
Ich sah Rafael zusammenzucken,
aber Arturo verzog keine Miene. »Vega hat mir von Ihren unglaublichen
Erlebnissen heute abend erzählt«, sagte er. »Mein
Mitgefühl, Señorita.«
»Danke schön«, entgegnete ich
knapp.
»Es handelt sich offenbar um
den Teil eines Attentats auf mich«, fuhr er fort. »Sie wissen, warum ich herkam
— um für mein Land eine Anleihe aufzunehmen. Ich verstehe allerdings nicht,
welche Rolle die Frau von Jonathan Stern spielt. Warum hat sie Sie so gemein mißhandelt ?«
»Die Antwort ist ganz einfach«,
sagte ich. »Sie ist nicht normal.«
»Vielleicht haben Sie recht.«
Er nickte bedächtig. »Hieraus entsteht nun eine überaus schwierige Situation,
wie ich Rafael soeben schon mitgeteilt habe. Sehen Sie, Jonathan Stern und sein
Teilhaber waren unsere einzige Hoffnung, die einzigen Geldleute mit genügend
Kapital, die das Risiko eingehen wollten, einem neuen Regime Geld zu leihen.
Unglücklicherweise ist Stern jetzt tot, und sein Teilhaber scheint verschwunden
zu sein. Es gibt nur noch eine Person, mit der ich, wie ich hoffe, verhandeln
kann.«
»Wirklich?« sagte ich höflich.
Er nickte. »Und diese Person
ist Mrs. Stern. Offensichtlich erbt sie das gesamte Vermögen.«
»Das erschwert freilich die
Lage«, meinte ich.
»Sehr richtig.« Er nickte
wieder. »Besonders nach den unerfreulichen Vorfällen dieses Nachmittags. Ich
habe das Rafael schon erklärt und bin überzeugt, Señorita, daß Sie genau wie er
alles verstehen werden.«
»Was verstehen?« fragte ich
verständnislos.
»Die Notwendigkeit, daß Sie
beide zum Haus Stern zurückkehren und den Schaden, den Sie angerichtet haben,
nach besten Kräften wiedergutmachen«, sagte er. »Eine förmliche Entschuldigung
kann die Gemüter vielleicht beruhigen, dazu eine Zusage materieller
Entschädigung...«
Ich starrte ihn zornig an und
mußte dreimal schlucken, ehe ich ein Wort herausbrachte. »Haben Sie den
Verstand verloren? Hingehen und mich dafür entschuldigen, was sie mir angetan
haben?«
Ich hörte ein nervöses Hüsteln
aus Rafaels Richtung, fuhr herum und blitzte ihn an. »Ist dieses fabelhafte
Monstrum denn ein normaler Mensch?« schrie ich erbost. »Wofür hält er sich
eigentlich? Für Nero? Oder Napoleon?«
Rafael sah mich hilflos an.
Ich hatte noch einiges für
Arturo auf dem Herzen und drehte mich um, es ihm mitzuteilen. Wir starrten uns
einen Augenblick an, und dabei färbte sich sein Gesicht purpurrot.
»Vega!« schrie er, ehe ich das
nächste Wort herausbrachte.
»Mein Fabelhafter?« antwortete
Rafael ergeben.
»Schaff mir diese Frau aus dem
Haus!« Arturo bebte vor Wut. »Bring sie zu Mrs. Stern und sorge dafür, daß sie
sich entschuldigt, wie ich es befohlen habe. Es ist mir gleichgültig, wie du es
schaffst. Wenn erforderlich, wende Gewalt an. Aber laß dich nicht eher wieder
blicken, bis es erledigt ist.«
»Aber...« wandte Rafael
unglücklich ein.
»Du wirst daran
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