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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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können. Ein besonders unbegabter Lehrling. Sie mochte jede dieser gebrochenen Linien, das kantige Relief, den Höcker an der Nase, die Lippen, die wie aus zwei Lehmwülsten geformt waren. Diese liebenswerte, atemberaubende Hässlichkeit.
    »Wie groß, Zarah, wie groß ist ihre Chance?«
    Sie hob die Schultern. Ratlos. Betroffen. Schaute sich instinktiv um, wie so oft, wenn die Gespräche mit Ash auf heikle Themen kamen. »Mit etwas Glück schaffen sie es nach Lübeck, in die Lichte Stadt. Bei den Engeln werden sie sicher sein.«
    Allmählich hellte sich der Himmel im Osten auf. In der Dämmerung begann die Grenze zwischen den beiden so verschiedenen Welten zu schwinden, und alles schien möglich. Eine Brise brachte Ashs Haar durcheinander und verlieh ihm einen beinahe verletzlichen Ausdruck, was bei seinen groben Zügen umso beklemmender wirkte. »Wie viele haben es denn bis jetzt geschafft?«
    Ein Schatten huschte an der Hauswand entlang.
    Sie fuhr herum. »Da!«
    Nichts. Da war nichts.
    Ash hatte recht, sie war eindeutig neben der Spur.
    Sie räusperte sich, um ihren unbedachten Ausruf herunterzuspielen. »Ja, wie viele es geschafft haben – keine Ahnung. Sie schreiben mir normalerweise keine Postkarten, weißt du?«
    »Zarah …« Seine fragenden Augen drohten ihr die Maske der Gleichgültigkeit vom Gesicht zu reißen.
    Sie wandte sich ab und blickte zum Haus. Hinter dem Fenster zeigte sich die Silhouette einer Frau. »Endlich. Ich sehe die Mutter. Also Folgendes …«
    »Du schaffst die Familie hier weg, und ich sichere den Rückzug. Bis gleich.« Geräuschlos schwang er sich vom Komposthaufen und lief zum Haus, und mit jedem Schritt löste sich seine Gestalt immer mehr im Zwielicht auf, bis es ihn nicht mehr gab.
    Die Angst war wieder da. Die lähmende, zermürbende Angst.
    Ash darf nichts passieren. Nicht heute … nicht meinetwegen!
    Lautlos formten ihre Lippen die Worte des Reims, den sie vor einer kleinen Ewigkeit aufgeschnappt hatte: Ein Elefant aus Spanien knackt mit dem Arsch Kastanien, klebt sie wieder zu, und raus bist du. Sie murmelte ihn immer, wenn die Furcht unerträglich wurde. Wie eine Beschwörungsformel. Menschen nannten so etwas Gebet, hatte sie gehört.
    Im Haus lärmte und polterte es, die Silhouette hinter dem Fenster war verschwunden. Etwas Schweres, Hölzernes brach. Glas klirrte.
    »Ash!«
    Wie eine Antwort gellte ein Schrei durch die Nacht. Dann lärmte es erneut. Die Pistole lag schon in ihrer Hand, sie lief zum Gebäude, hastete um die Ecke zum Hauseingang – und stolperte über etwas, was unter ihren Füßen knackte und wie trockenes Laub raschelte.
    Sie löste die Taschenlampe aus der Halterung an ihrem Gürtel und leuchtete auf den Boden. »Himmelstor und Baphomets Unterhosen!«
    Ihr Fuß steckte in der Brust einer mumifizierten Leiche. Es war der Mann, den sie kurz zuvor gesehen hatte, höchstwahrscheinlich der Vater der Familie. Sein Haar schimmerte silbern im Licht der Taschenlampe. Dünn und ausgedörrt überzog die Haut das Skelett, an den Wangen aufgerissen. Der geweitete Mund schien einen stummen Schrei auszustoßen.
    Sie streckte prüfend die Hand nach der Leiche aus, obwohl sie die Antwort bereits ahnte. Die Restmagie prickelte in ihren Fingern, ein leichtes Stechen wie von einem Dutzend Nadeln. Ihr Körper saugte jede Spur davon auf, brachte ihr Blut in Wallung und reizte ihre Sinne.
    Hastig zog sie die Hand zurück, bevor zu viel davon in sie eindringen konnte. Einige für Magie empfängliche Menschen gierten nach diesem Kick, den die Berührung mit den übernatürlichen Kräften ihnen verschaffte. Auch manche Dämonen ließen sich davon berauschen, bis sie sich in dahinvegetierende Idioten verwandelten. Sie aber brauchte ihren Verstand noch.
    Kein Zweifel, vor ihr lag das Opfer eines Formwandlers.
    »Ich hasse diese Biester.«
    Hass war besser als Angst. Leichter in den Griff zu bekommen. Sie dachte an die Fakten, die sie an der Akademie bis zum Überdruss hatte lernen müssen. Formwandler. Mäßig intelligente, aber bösartige und schwer zu fangende Viecher. Sie konnten jede Gestalt annehmen, von der des neuesten Mädchenschwarms bis hin zu der eines Wackelpuddings. Verwundbar waren sie nur, wenn ihre Magie mit reinem Eisen blockiert war.
    »Wo zum Heiligen Stuhl kam dieser her?« Sie stieß die Eingangstür auf, und erneut erfasste sie Magie, diesmal ausgehend von einer Schutzrune, die ungebetenen Gästen den Zutritt verwehren sollte. Nur nicht ihr. Endlich im Haus,

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