Tag der Buße
Noam hat eine eingebaut. Ich glaub aber nicht, daß er dafür genug von Computern versteht. Da muß man nämlich wissen, wo man die hintun muß. Und hinterher die Dipschalter umstellen. Noam kann nicht programmieren. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß er an der Hardware rummachen würde.«
»Er hat schon Probleme, fertige Software zu benutzen«, fügte Boruch hinzu.
»Was macht er denn dann mit dem Computer?« fragte Decker.
»Ich glaube, er schreibt irgendwelches Zeug. Ich hab mal versucht zu gucken, was er macht, aber er hat den Monitor zugehalten.«
»Yeah, das macht er bei mir auch.«
»Ist Noam ein guter Schüler?« fragte Decker.
»Nicht so besonders«, sagte Aaron. »Er ist irgendwie … na ja, faul.«
»Habt ihr denn irgendeine Ahnung, wo er sich so rumtreibt?«
Wieder schüttelten beide die Köpfe.
»Er hat ein paar Freunde«, sagte Aaron. »Die wissen vielleicht mehr als wir.«
»Mit denen werde ich mich später unterhalten«, sagte Decker. »Wie wär’s jetzt erst mal mit einem Spaziergang zu eurem Haus?«
Beide Jungen waren einverstanden.
Nette Kinder, dachte Decker. Irgendwas mußten Breina und Ezra schon richtig machen.
Bis gestern hatte sie der Schmerz immer nur an seinen Geburtstagen überkommen. Doch jetzt war es eine offene Wunde, die an Frieda Levines leidgeprüftem Herzen nagte. Und das würde so bleiben, bis sie mit dem Frieden geschlossen hätte, den sie im Stich gelassen hatte.
Gott stellte sie auf die Probe, und dafür benutzte er das Kostbarste, das er ihr geschenkt hatte. Obwohl sie all ihre Enkelkinder sehr gern hatte, hatte sie Noam am liebsten, weil er immer so schwierig gewesen war. In den vielen Stunden, die sie zusammen verbracht hatten, hatte Noam kaum geredet. Aber wie fasziniert hatte er ihren Geschichten gelauscht, wie hatten ihn diese Kriminalfälle gefesselt, mit denen sie all die Jahre, die sie am Gericht gearbeitet hatte, in Berührung gekommen war.
Stundenlang hatte sie sich die Kehle heiser geredet, während er sie mit diesen geheimnisvollen Augen anstarrte und jedes Wort in sich aufsog. Ohne zu sprechen hatte er zu ihr gesagt: So sieht also diese Welt der Goj aus.
Noam stellte nie Fragen, selbst wenn sie sich förmlich aufdrängten. Frieda gewann den Eindruck, daß er nicht besonders intelligent war. Aber im Gegensatz zu Ezra, der auch nicht sehr helle war, hatte Noam nie das Bedürfnis, das durch Übereifer auszugleichen.
Seit vier oder fünf Jahren waren sie und Noam nicht mehr so beisammen gewesen, trotzdem erinnerte sie sich an diese Begegnungen, als ob sie erst gestern stattgefunden hätten.
Dann war er ganz plötzlich nicht mehr zu ihr gekommen.
Sie hatte sich nichts dabei gedacht. Dieses Schicksal ereilte alle Großmütter früher oder später, daß die Enkelkinder sie plötzlich nicht mehr amüsant finden, sondern nur noch als alte Frauen betrachteten. Das war ganz normal.
Doch bei Noam hatte es ihr ein bißchen mehr weh getan; er hatte sie so plötzlich und so absolut aus seinem Leben gestrichen. Wogegen die anderen, wenn sie älter wurden, zumindest noch ab und zu Interesse an ihr zeigten. Sie erkundigten sich nach ihrer Gesundheit, kniffen ihr in die Wange, lobten ihre Backkünste.
Deine Plätzchen sind die besten, Bubbe.
Aber Noam hatte sie verlassen, ohne sich noch einmal umzusehen.
Doch sie hatte das nicht persönlich genommen. Noam zog sich schließlich von allen zurück. Sie hätte aber erkennen müssen, daß sich dahinter ein schwerwiegendes Problem verbarg. Doch da sie gewohnt war, ihren Kummer in sich hineinzufressen, hatte sie einfach weggeschaut.
Jetzt wurde sie mit den beiden großen Fehlern, die sie in ihrem Leben gemacht hatte, unmittelbar konfrontiert. Während sie in ihrem abgedunkelten Schlafzimmer lag und Tränen ihre Wangen hinunterliefen, wurde ihr klar, daß sie den Kopf nicht länger in den Sand stecken konnte. Sie mußte das Unrecht wiedergutmachen, das vor vielen Jahren geschehen war.
Aber erst einmal mußte sie warten, bis Noam gefunden wurde.
Falls er jemals gefunden wurde.
Der Gedanke ließ sie erschauern.
Er würde es tun, ihr Erstgeborener, der ihr von Gott geschickt worden war. Wenn es vorherbestimmt war, wenn es beschert war, würde er derjenige sein, der Noam rettete. Sie spürte es genauso deutlich, wie sie seine kleinen Füße in ihrem Bauch strampeln gefühlt hatte. Genauso deutlich, wie sie sein Gesicht aus ihrem Körper hatte hervorkommen sehen, einen Kopf voller leuchtend roter Haare, rote
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