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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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steckte die Hände in die Taschen und sagte: »Sie haben großartige Kinder.«
    Shimon versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, es gelang ihm aber nicht. »Danke. Ich bin auch stolz auf sie.«
    »Die Jungen scheinen kein besonders enges Verhältnis zu ihrem Cousin zu haben.«
    »Zu Noam? Nein, das haben sie nicht. Mit den anderen Söhnen von Ezra verstehen sie sich ganz gut, und mein zweiter Sohn und Ezras Ältester lernen zusammen. Aber Noam? Er ist ein seltsamer Junge.«
    »Inwiefern?« fragte Decker.
    Shimon warf die Hände in die Luft. »Es ist schlimm, daß ich Ihnen das so kurz vor Jom Kippur erzähle, aber vielleicht ist es ja wichtig.«
    »Was denn?«
    »Er schnüffelt herum«, sagte Shimon. »Meine Frau hat ihn nicht gern bei uns, weil er im ganzen Haus herumschleicht und in Schubladen wühlt. Das mag zwar harmlos sein, aber die meisten Kinder – ob aus der Verwandtschaft oder nicht – tun so was nicht.«
    »Hat er bei Ihnen mal was gestohlen?«
    Shimon wurde rot.
    »Was hat er gestohlen?« bohrte Decker.
    »Nichts Großes«, erklärte Shimon. »Nichts Wertvolles.« Er mußte seine Gedanken sammeln. »Meine Tochter Shuli machte gerade eine widerspenstige Phase durch. Sie war gerade vierzehn geworden. Sie haben ja auch eine Tochter im Teenageralter, da wissen Sie, wie die manchmal sein können.«
    »Launisch«, sagte Decker.
    »Sehr launisch. Und sehr leicht reizbar. Schnell gelangweilt. Nicht viel Energie. Meine Frau sagt, das ist normal. Deshalb …« Er zuckte die Achseln. »Jedenfalls hab ich einen Deal mit Shuli gemacht. Von all meinen Kindern hat sie den stärksten Hang zu den Verrücktheiten dieser Welt. Sie liebt Make-up, schöne Kleider, hält sich wohl für einen Filmstar oder so was. Jedenfalls hab ich ihr versprochen, wenn sie mehr im Haushalt tut und netter zu ihrer Mutter und ihren Geschwistern ist, würde ich ihr ein Jahr lang die Zeitschrift People kaufen. Das hört sich für Sie vielleicht blöde an …«
    »Ich versteh das, Shimon.«
    »Die Leute hier lesen solche Sachen halt nicht …«
    »Ich verstehe«, wiederholte Decker.
    »Jedenfalls, es hat funktioniert«, sagte Shimon. »Shuli ist wie ausgewechselt, und der Einfluß scheint ihr nicht zu schaden. Ich bin zufrieden, und sie ist zufrieden.
    Vor ungefähr einem halben Jahr hat meine Frau, als sie Shulis Zimmer saubermachen wollte, Noam dort erwischt. Der Junge ist, nach ihren Worten, rausgehuscht wie eine Maus. Meine Frau hat sich nicht viel dabei gedacht. Sie war zwar sauer, aber schließlich war so etwas typisch für Noam. Als Shuli dann nach Hause kam, hat sie sich furchtbar aufgeregt, mich angebrüllt und ist schließlich in Tränen ausgebrochen. ›Was ist denn los?‹ hab ich sie gefragt. Sie war außer sich, weil es der Tag war, an dem People erscheint, und wir vergessen hätten, ihre geliebte Zeitschrift zu kaufen. Meine Frau versicherte, daß sie die Zeitschrift mitgebracht hätte, doch dann fiel ihr plötzlich ein, daß Noam sich was unter die Jacke geschoben hatte, als sie hereingekommen war. Wir nahmen an, daß er die Zeitschrift gestohlen hatte.«
    Decker wartete, ob er noch mehr erzählen würde.
    »Das ist alles«, sagte Shimon.
    »Und das ist, soweit Sie wissen, das einzige, was er bei Ihnen je hat mitgehen lassen.«
    »Soweit ich weiß, ja, und es ist schon einige Zeit her.« Shimon zögerte. »Wissen Sie, ich hätte Ezra schon fast vorgeschlagen, daß er Noam die Zeitschrift kaufen sollte. Aber Ezra ist ein bißchen strenger als ich. Und – ich schäme mich fast, es zuzugeben – ich wollte nicht, daß Ezra erfährt, daß ich die Zeitschrift für Shuli kaufe. Hier in der Gegend machen wir uns viel zu viele Gedanken darüber, was andere Leute denken.«
    Decker klopfte ihm auf den Rücken. »Tun wir das nicht alle, Shim?«
    »Meinen Sie wirklich?« Shimon zuckte die Achseln. »Ich hab mein Leben lang hier gewohnt, Akiva. Ich hab eine Fahrgemeinschaft mit Männern, mit denen ich aufgewachsen bin. Jeden Tag fahren wir zusammen über die Brücke, ich gehe zur Arbeit, dann fahren wir wieder zusammen nach Hause. Ich hab einen Silbergroßhandel und verkaufe an größere Einzelhändler. Die meisten Verkäufe werden per Telefon abgewickelt. Nachdem ich erstmal die Kontakte geknüpft habe, sehe ich meine Käufer so gut wie nie mehr. Ich hab praktisch keine Ahnung, was andere denken, was andere tun.«
    »Und das stört Sie nicht?« fragte Decker.
    »Nicht, wenn ich sehe, in was für einer Welt die leben, wo es zehnjährige

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