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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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schon. Wenn er auch nur annähernd so wie Deckers Vater war, würde er seinen Laden in- und auswendig kennen. Egal, wonach man Lyle Decker in seiner Eisenwarenhandlung fragte, er konnte einem immer genau sagen, wo es war.
    Adapter für zweipolige Stecker? Dritter Gang, auf der linken Seite … ungefähr zwei Drittel durch, drittes Regalbrett, gleich neben den Dreifach-Lichtschaltern.
    Randy, der ihm zusetzte: Irgendwann sollten wir mal eine Bestandsaufnahme machen, Dad, und den Laden richtig ordnen.
    Wenn du das machst, find ich überhaupt nichts mehr.
    Die Luft war schneidend kalt geworden. Eine metallisch graue Wolkenwand schien sämtliche Wärme und sämtliches Licht der Sonne abblocken zu wollen, doch das gewaltige Gestirn setzte sich zur Wehr und verharrte als glühende weiße Scheibe in einem grauen Meer. Die Temperatur bewegte sich um die null Grad. Decker blies in seine bloßen Hände, um sie zu wärmen, klappte den Mantelkragen hoch und ging weiter.
    GITTEL’S BAKERY – CHALAV YISROEL.
    JERUSALEM GLATT KOSHER MEAT MARKET – HÜH-NER FÜR KAPPAROT.
    Beim Kapparot- Ritual wurden die Sünden symbolisch auf ein Huhn übertragen. Für einen Mann nahm man einen Hahn, für eine Frau eine Henne. Das Huhn wurde dreimal durch die Luft geschwungen. Dabei mußten ganz bestimmte Worte rezitiert werden. Dann wurde das Huhn geschlachtet und als Akt der Nächstenliebe den Armen gegeben. Manche Leute gaben statt der Hühner einfach Geld. Dieses Ritual war allerdings nur ein Brauch, kein Gesetz. Nach Deckers Ansicht ein sehr primitiver Brauch. Doch solche alten Bräuche waren im Laufe der Zeit ein fester Bestandteil der Religion geworden.
    Erst vor hundert Jahren waren Tausende von Juden nach Amerika geströmt, hatten neunzig Stunden die Woche gearbeitet für ein besseres Leben, für die Chance, dem Ghetto zu entkommen. Doch für manche war soviel Freiheit beängstigend gewesen.
    Die Lösung: Bringen wir doch einfach das Ghetto nach Amerika.
    Und Rina hatte sich freiwillig dafür entschieden.
    Natürlich wußte Decker, daß der Wohlstand Amerika auch sehr viele Mißstände gebracht hatte. Jugendliche, die sich mit Erwachsenenproblemen wie Alkoholismus, Drogensucht, Abtreibungen, Scheidung herumschlugen. Erwachsene, die sich nicht mehr zurechtfanden und Halt suchten.
    Manche assimilierten Juden reagierten auf diesen Druck, indem sie sich nach innen kehrten und einen höheren Gott suchten als einen BMW. Sie schlossen sich irgendwelchen Kulten an, besuchten Seminare über fernöstliche Mystik, engagierten sich in Umweltschutzorganisationen oder bei den militanten Tierschützern, wo sie im Namen Gottes Pelzmäntel mit Farbe besprühten. Einige wenige Juden kehrten zu ihren Wurzeln zurück und wurden traditionell. Die »von Geburt an orthodoxen« Juden schienen noch einen Schritt weiter zu gehen, indem sie die moderne Welt bewußt ausschalteten.
    Praktisch keine der ultra-orthodoxen Familien besaß einen Fernseher, nur wenige lasen Time oder Newsweek, weil dort manchmal »aufreizend« gekleidete Frauen abgebildet waren. U. S. News and World Report war hier das gängige Nachrichtenmagazin. Filme waren verboten, Unterhaltungsliteratur ebenfalls. Beides galt als zu freizügig. Decker war allerdings überzeugt, daß die eine oder andere Hausfrau irgendwo einen Roman von Danielle Steel versteckt hatte.
    Es war gut, daß er Rina getroffen hatte, dachte er. Seine weltliche Sicht der Dinge würde verhindern, daß sie zu weit ging. Er würde außerdem dafür sorgen, daß die Jungen irgendwann ihren Lebensunterhalt selbst verdienen konnten. Viele Kinder in diesen Kreisen wollten noch nicht mal aufs College, obwohl ihre Eltern eins besucht hatten. Sie studierten lieber an einer Jeschiwa und ließen sich von Eltern, Ehefrau oder Schwiegereltern unterstützen.
    Er würde auf keinen Fall zulassen, daß die Jungen von Almosen lebten.
    Doch dann dachte er, Kinder machen sowieso, was sie wollen. Kümmer dich um deinen eigenen Kram, Deck, und laß Rina sich den Kopf über die Jungen zerbrechen. Außerdem war es noch lange hin bis dahin.
    Decker war schon zehn Blocks gegangen, als ihm bewußt wurde, daß die Gegend sich verändert hatte. Statt der jüdischen Läden sah man jetzt zahlreiche Videotheken und Wein- und Schnapsläden. Er fragte sich, ob jemals Kinder aus den religiösen Familien einen Abstecher in diese Gegend machten. Oder trennte eine unsichtbare Mauer die Juden hier ebenso konsequent von den Gojim, wie es die römischen Mauern vor

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