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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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allein.« Er ließ ihre Hand fallen und lief weiter.
     
    Sechs Stunden totschlagen, und das mit nur fünfzehn Dollar und zweiundzwanzig Cent in der Tasche. Decker hatte die Kreditkarten im Schlafzimmer gelassen, also konnte er sich schon mal nicht für die Nacht in einem Motel einquartieren. Nicht daß er es tatsächlich getan hätte, aber er hätte gern die Möglichkeit gehabt. Ecke Vierzehnte und Achtundfünfzigste nahm er ein Taxi, ließ sich auf die schwarze Rückbank fallen und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht.
    Der Fahrer war Inder oder Pakistani. Er hatte schokoladenbraune Haut, glatte schwarze Haare und einen Namen mit vielen Doppel- Os und inis. Nachdem er etwa eine Minute gewartet hatte, fragte der Fahrer: »Was kann ich für Sie tun, Sir?«
    Das »Sir« klang wie Serrr. Eine rollende Zunge setzt kein Moos an. Decker, der sich ganz beklommen fühlte, merkte plötzlich, daß er dem armen Kerl vermutlich Angst machte.
    »Was gibt’s denn hier in der Gegend zu sehen?« brummte er.
    »Zu sehen?«
    »Yeah, zu sehen«, sagte Decker. »Irgendwelche interessanten Sehenswürdigkeiten in der Nähe?«
    »Hier in der Gegend?« sagte der Taxifahrer. »Das ist ein sehr, sehr jüdisches Viertel.«
    Sehr, sehr klang wie säl, säl.
    »Es gibt nicht viel zu sehen außer Juden, von denen allerdings ’ne ganze Menge«, fuhr der Fahrer fort.
    »Gibt’s hier eine öffentliche Bücherei?«
    Decker brauchte einen Ort zum Nachdenken, wo er sich überlegen konnte, wie er für zwei Tage verschwinden könnte.
    »Die Brooklyn Central Library«, sagte der Fahrer. »Sie liegt in einem sehr schönen Park. Soll ich Sie hinfahren, Sir?«
    Decker sagte, das solle er machen. Der Fahrer wollte offenbar partout den Fremdenführer spielen.
    »Ich fahr über die Flatbusch Avenue. Vor sehr, sehr langer Zeit hab ich geglaubt, das wär die längste Straße von Brooklyn. Ist sie aber nicht. Das ist die Bedford.«
    Die Avenue war, nett ausgedrückt, nicht weiter bemerkenswert, kritisch betrachtet war sie ein Musterbeispiel für alles, woran Innenstädte kranken – alte Häuser mit bröckeligen Fassaden, unbebaute Grundstücke, auf denen sich der Müll häuft, und Mietskasernen, die Gangs mit ihren Graffitis vollgeschmiert haben. Doch der Taxifahrer schien das gar nicht wahrzunehmen, sondern redete die ganze Zeit darüber, daß Manhattan nur was für die Reichen sei, in Brookyln jedoch die normalen Menschen lebten. Decker war sich nicht sicher, ob er den Fahrpreis in die Höhe treiben wollte, indem er einen Umweg fuhr, oder ob er einfach nur freundlich war, was man selten erlebte.
    »Das Brooklyn Museum ist im Prospect Park, Sir. Der Architekt, der den Central Park in Manhattan entworfen hat, hat auch Prospect Park entworfen. Ein sehr, sehr schöner Park. Man kann dort Bötchen fahren, aber jetzt nicht. Es ist zuuuuu kalt.«
    Warum auch immer der Fahrer diese Rundfahrt mit ihm machte, Decker wünschte, er würde den Mund halten. Er mußte sich beruhigen, und der Kerl machte ihn säl, säl nervös.
    Er mußte sich beruhigen.
    Daß er ausgerechnet ihr begegnen mußte.
    Vielleicht war sie es ja gar nicht. Könnte ja immerhin sein. Es gab bestimmt Dutzende Frieda Levines. (Levine? Er hatte Levy oder Levin in Erinnerung gehabt.)
    Frieda Levine – ein geläufiger jüdischer Name, so was wie Mary Smith. Doch egal, was er sich einzureden versuchte, er wußte, daß es keinen Sinn hatte.
    Das Foto. Dieses uralte Foto.
    Das war eindeutig sie. Decker hatte scharfe Augen, die schon zu viele Gesichter trotz aller möglichen Veränderungen nach Verbrecherfotos erkannt hatten, um sich hier zu täuschen.
    Man brauchte das verdammte Gesicht doch nur älter zu machen.
    Der Taxifahrer unterbrach seinen Vortrag für einen Augenblick.
    »Woher sind Sie?« fragte er.
    »Aus Los Angeles«, sagte Decker.
    »Oh, L. A.«, sagte der Fahrer. »Sehr, sehr gut. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen Ebbets Fields zeigen, wo eure Dodgers früher gespielt haben.«
    »Fahren Sie mich einfach zur Bibliothek.«
    »Da gibt’s allerdings nicht viel zu sehen«, fuhr der Fahrer fort. »Ist jetzt ’ne Sozialsiedlung. Aber manche Leute sind sehr, sehr sentimental.«
    »Ich nicht.«
    »Interessieren Sie sich für Architektur, Sir?« fragte der Fahrer. »Oder sind Sie vielleicht an Immobilien interessiert? Vor zwei Tagen hab ich einen reichen Mann zu den Sandsteinhäusern am Eastern Parkway gefahren. Er war sehr, sehr beeindruckt.«
    Decker ballte die Fäuste und sagte: »Nur zur

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