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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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mal den vollständigen Namen von jemandem weiß, ist der Rest einfach«, sagte Decker. »Man besorgt sich die Geburtsurkunde, den Namen der Eltern und deren sämtliche Adressen. Dann grast man die alte Nachbarschaft ab, redet mit früheren Lehrern, mit Ladeninhabern und Freunden. Soweit ich weiß, hat die Familie keine engen Freunde gehabt. Nach Aussagen der Nachbarn sind die Schaltz’ sehr für sich geblieben. Hersh hat nie mit Kindern aus dem Block gespielt – vermutlich einer der Gründe, weshalb sein Englisch so schlecht war, als er in die Schule kam. Wenn er mehr unter Leute gekommen war, hätte er schon Englisch gelernt, auch wenn seine Eltern nur Jiddisch sprachen.«
    »Wie traurig.«
    »Ja, das ist traurig. Wenn man Glück hat, kann diese Art Einsamkeit Kreativität auslösen. Doch die meisten Menschen kriegen davon einen Knacks. Ich denke, es hat sich gelohnt, einen zusätzlichen Tag in New York zu verbringen, um diesen Typ besser einschätzen zu können. Außerdem wollte Marge mir schon eine Menge Vorarbeit in L.A. abnehmen.«
    »Das ist sehr nett von Marge.«
    »Wir schulden ihr ein gutes Abendessen«, sagte Decker.
    »Jederzeit«, sagte Rina. »Also, was haben wir nun von diesem Hersh zu halten?«
    Decker zuckte die Achseln. »Seine Religion hat ihn zum Außenseiter gemacht. Ich vermute, daß er mit Judaismus nicht mehr viel am Hut hat.«
    »Das ist sehr schade«, sagte Rina. »Es muß irgendein Konflikt zwischen den Eltern bestanden haben, wenn sie in Kew Gardens gelebt haben, obwohl sie Szatmar-Chassidim waren. Vielleicht war die Mutter nicht so religiös wie der Vater. Vielleicht wollte sie unbedingt dort wohnen. Selbst bei Orthodoxen kann es Brüche innerhalb der Familie geben.«
    »Wie bei Eli Greenspan«, sagte Decker. »Sein Vater arbeitet in North Carolina, während seine Mutter darauf besteht, daß die Familie in New York bleibt.«
    »Genau. Wie geht es Eli übrigens?«
    »Jonathan hat jemand gefunden, mit dem er reden kann, Gott segne den guten Rabbi.« Decker hielt inne. In mancher Hinsicht erinnerte Jonathan ihn an seinen jüngeren Bruder. Jonathan und Randy waren fast im selben Alter. Beide waren sehr sensibel, was sie hinter einer abweisenden Fassade zu verbergen versuchten. Decker fragte sich gerade, wie sie wohl miteinander auskommen würden, als ihm die Unsinnigkeit dieser Vorstellung bewußt wurde. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Rina zu. »Der Therapeut, den Jonathan gefunden hat, ist zwar nicht frumm, aber er ist Jude, und seine Praxis ist nur ein paar Blocks von den Greenspans entfernt. Eli ist zu seinem ersten Termin erschienen. Mehr weiß ich leider nicht.«
    »So naiv das auch klingen mag, ich hab immer geglaubt, daß wir gegen weltliche Probleme immun wären. Verrückt, was?«
    »Keine Gemeinschaft ist immun. Aber eines kann ich dir sagen, Darling. Die meisten Kinder, mit denen ich in Boro Park gesprochen habe, scheinen sehr gut klarzukommen. Sie haben gute Manieren, respektieren ihre Eltern und sind nett zu ihren Freunden. Die religiösen Schulen haben keine Probleme mit dem Schwänzen und auch keine großen Drogen- oder Alkoholprobleme. Fast alle Familien sind intakt. Und wenn es einem nichts ausmacht, von der übrigen Welt isoliert zu leben, dann ist das sicher ein guter Ort, um Kinder großzuziehen. Bloß wenn es mal ein Problem gibt, wollen die Leute das nicht zugeben.«
    »Du sprichst schon wieder von ›den Leuten‹.«
    Decker lächelte. »Okay, wollen wir das nicht zugeben.«
    »Viel besser.«
    »Jedenfalls denke ich, daß Hersh so ein Problemkind war.«
    »Die Familie muß mit sich selbst schon genug Probleme gehabt haben«, sagte Rina. »Erst die Scheidung. Dann heiratet der Vater eine Schickse. Dann kann er ja ein so überzeugter Jude nicht gewesen sein.«
    »Du bist voreingenommen.«
    »Wenn es um Mischehen geht, bin ich halt voreingenommen.«
    »Am Anfang unserer Beziehung waren auch viele Leute voreingenommen.«
    »Du warst aber bereit zu konvertieren, Peter«, brauste Rina auf. »Außerdem warst du bereits Jude.«
    »Das wußtest du aber am Anfang nicht.«
    »Willst du mit mir streiten?«
    »Eigentlich nicht«, sagte Decker. »Außerdem, wer weiß? Vielleicht ist Christine McClelland ja auch konvertiert.«
    »Ein pfiffiger Detektiv wie du sollte das doch rauskriegen können.«
    »Das ist nicht so ganz einfach, Holmes«, sagte Decker. »Und wenn wir Hersh nicht finden, werden wir es wohl nie erfahren. Es sieht nämlich sehr danach aus, als seien sein Dad und

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