Tag der Entscheidung
die diesmal tief genug war, um als unterwürfig bezeichnet werden zu können. »Die Bedingungen des Vertrags sind gebrochen. Werdet Ihr die Gelegenheit nicht wahrnehmen und versuchen, Eure Freiheit wiederzuerlangen und Eure rechtmäßige Bestimmung zurückzufordern?«
Die Cho-ja-Königin schien beinahe traurig, als sie zu einer Antwort ansetzte: »Lady, das können wir nicht. Wir haben unser Wort gegeben. Der Vertragsbruch war Euer Werk, Euer Verrat. Ihr kennt uns nicht wirklich. Es ist uns gar nicht möglich, einen Eid zu brechen.«
Mara runzelte die Stirn. Dieses Gespräch verlief ganz und gar nicht so, wie sie es sich ausgemalt hatte. Nackte Angst packte sie. »Ich verstehe nicht.«
»Das Brechen von Versprechen ist eine menschliche Eigenschaft«, meinte die Königin ohne Vorwurf.
Immer noch verwirrt, bemühte Mara sich zu verstehen. »Ich weiß, daß Euer Volk niemals eine Erinnerung vergißt«, meinte sie in dem Versuch, dieser Sackgasse zu entkommen.
Die Königin erklärte die Sache näher: »Ein Wort, das wir einmal gegeben haben, können wir nicht brechen. Deshalb sind uns die Menschen all die Jahre immer wieder überlegen gewesen. Jeder Krieg endete in einem Vertrag, den wir kraft unserer Natur einzuhalten gezwungen waren. Die Menschen haben solch instinktive Regeln nicht. Sie begehen Ehrverletzungen, ohne daran zu sterben. Wir sehen dieses merkwürdige Verhalten, doch wir können nicht –«
»Sterben!« unterbrach Mara schockiert. »Ihr meint, Ihr könnt den Bruch eines Versprechens nicht überleben?«
Die Königin nickte bejahend mit dem Kopf. »Genau das. Unser Wort bindet uns, es ist unentwirrbar mit dem Schwarmbewußtsein verbunden, das selbst wiederum Gesundheit und Leben bedeutet. Für uns ist ein Versprechen so einengend wie Wände und Ketten für einen Menschen – nein, mehr noch. Wir können nicht gegen die Lehrsätze unserer Ahnen verstoßen, ohne Wahnsinn über den Schwarm zu bringen, einen todbringenden Wahnsinn, denn wir würden aufhören, Nahrung aufzunehmen und zu brüten, würden uns nicht mehr verteidigen. Für uns ist Denken identisch mit Handeln, Handeln mit Denken. Ihr habt keine Worte für ein solches Konzept.«
Mara gab der Schwäche in ihren Knien nach und ließ sich auf den nackten Boden sinken. Ihre Rüstung quietschte in der Stille. Ihre Stimme klang leise und so sanft wie selten zuvor. »Das wußte ich nicht.«
Die Königin sagte nichts, was Mara entlastet hätte. »Das ist eine übliche Antwort von Menschen, die endlich ihren Irrtum einsehen. Doch es ändert nichts. Ihr könnt nicht lösen, was Euch nicht bindet. Nur die Cho-ja oder die Versammlung können diesen alten Pakt brechen.«
Mara verfluchte sich innerlich für ihren Stolz und ihre Eitelkeit. Sie hatte geglaubt, sie wäre anders als die anderen Herrscher, sie hatte sich angemaßt, ihre Cho-ja-Freunde zu kennen, und sie hatte sich einer Greueltat schuldig gemacht, die so groß war wie jede andere, die ihr Volk in der Vergangenheit an der insektenähnlichen Rasse begangen hatte.
Der Rat in Chakaha hatte ihr vertraut; fälschlicherweise, wie es jetzt schien. Sie sank in sich zusammen bei dem Gedanken, daß die Magier, die sie dazu gebracht hatte, ins Kaiserreich zu kommen, schließlich erkennen mußten, wie falsch sie die Situation beurteilt hatte.
Wie viele Male hatte Ichindar in seinem Amt unter seinen menschlichen Dummheiten gelitten, wenn sie gerade diejenigen Menschen betrafen, die er aufgrund seines Schicksals regieren mußte? Mara fühlte sich klein vor Scham. Sie hatte danach gestrebt, ihren eigenen Sohn auf den Goldenen Thron zu setzen; um ihn zu retten, wie sie geglaubt hatte.
Wie wenig hatte sie damals an die Folgen gedacht, die damit verbunden waren, daß sie auf die Schultern eines Jungen eine Verantwortung lud, die selbst sie überwältigte.
Mara stützte den Kopf in die Hände; mehr als nur Verzweiflung lastete jetzt auf ihr. Sie dachte über die Endgültigkeit des Todes nach, den sie starrsinnig als Verschwendung betrachtet hatte; jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Die wesentlichen Bausteine ihrer Philosophie hatten sich so verändert, daß sie keine Handlung mehr als richtig empfand.
»Die Magier werden Vergeltung von Euch fordern«, begann Mara schließlich. Sie schaute die Königin demütig an. »Was werdet ihr tun?«
Das gewaltige insektenähnliche Wesen warf ihr einen Blick zu, den kein Mensch deuten konnte. »Einige von uns werden sterben«, erwiderte sie mit der unerbittlichen
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