Tag der Entscheidung
Ehrlichkeit ihres Volkes. »Dieser Schwarm wird vermutlich der erste sein, da wir Euch Einlaß und eine Audienz gewährten.«
»Könnt Ihr nicht fliehen?« Mara sehnte sich schmerzlich nach ein paar hoffnungsvollen oder ermutigenden Worten, nach einer Bestätigung, daß für diese Wesen, die ihr in all den Zeiten der Widrigkeiten und Probleme mit Freundschaft zur Seite gestanden hatten, nicht alles verloren war.
Die Königin zuckte mit einem Vorderglied, möglicherweise ein Äquivalent der Cho-ja für ein Schulterzucken. »Ich bin bereits in der am tiefsten gelegenen Kammer dieses Stocks. Es ist unmöglich, mich an einen anderen Ort zu schaffen. Sind wir Königinnen erst einmal alt genug, um Eier zu legen, verlieren wir unsere Beweglichkeit. Hier werde ich bis zum letzten Atemzug leben. Eure Erhabenen können meinen Körper zerstören, doch das Schwarmbewußtsein wird meine Erinnerungen bewahren und auch einen Bericht all dessen, was hier geschieht. Ein anderer Schwarm wird es schützen, und wenn eine neue Königin ausgebrütet ist, wird sich dieses Schwarmbewußtsein mit ihr erneuern.«
Ein schwacher Trost, dachte Mara, in alle Ewigkeit nicht vergessen zu werden. Das ungute Gefühl, das sie beschlich, behielt sie für sich: nämlich daß das Schlimmste geschehen könnte und es für das im Kaiserreich gefangene Volk der Cho-ja tatsächlich ein Ende ohne Erinnerung geben mochte. Ihre Dreistigkeit hatte möglicherweise die vollständige Auslöschung dieser Wesen heraufbeschworen. Sie dachte an das Vertrauen, das sie dem Rat in Chakaha entrungen hatte, und war den Tränen nahe.
Sie hatte keine Gelegenheit, länger über ihre Schuld nachzudenken, denn die Königin neigte ihren Kopf zur Seite, als lauschte sie auf etwas.
Ein Feuerwerk aus hohen summenden Tönen wechselte zwischen der Herrscherin und ihren Dienern hin und her. Die Kommunikation hörte schlagartig auf. Arbeiter und Krieger verschwanden, und die Königin nickte ihrem Gast zu.
»Was ist geschehen?« fragte Mara und fürchtete gleichzeitig die Antwort.
»Erhabene sind gekommen«, erwiderte die Königin. »Eine Delegation von dreißig Magiern hat den Eingang zu meinem Stock umstellt. Sie klagen uns irrtümlicherweise des Vertragsbruches an und verlangen, daß wir Euch ihnen ausliefern.«
»Ich werde zu ihnen gehen«, sagte Mara. Ihre Knie zitterten jetzt noch stärker. Sie fragte sich, ob sie ihren wunden Körper überhaupt würde aufrecht halten können. »Ich möchte Eurem Volk nicht noch weitere Schwierigkeiten bereiten.«
Die Cho-ja-Königin zuckte in einer unmißverständlichen Geste der Verneinung mit einem ihrer Vorderglieder. »Ihr seid nicht unsere Gefangene. Wir haben keinen Eid verletzt. Ihr habt die Magier über die Grenze hergebracht, und es gibt keinen Paragraphen in dem Vertrag, der uns verbietet, Euch eine Audienz zu gewähren. Ihr könnt gehen. Ihr könnt bleiben. Oder die Schwarzen Roben können kommen und Euch holen. Wir haben mit der Entscheidung nichts zu tun.«
Mara wölbte schockiert die Brauen. Sie hielt inne, bemüht, noch mehr Fehler in ihren Mutmaßungen zu vermeiden. Vorsichtig wählte sie ihre nächsten Worte: »Wenn ich mich entschließe, mich nicht zu ergeben, müßt Ihr wissen, daß die Versammlung dies falsch verstehen wird. Die Erhabenen werden von Eurer Mittäterschaft überzeugt sein und Vergeltung suchen.«
Die Königin schien weniger gelassen zu sein als vielmehr von einer Härte wie polierter Obsidian. »Es ist eine falsche Überzeugung, wenn es stimmt, was Ihr vermutet.«
Mara schluckte. Sie hatte das Gefühl, als würde sich jeden Augenblick der Boden unter ihren Füßen auftun. »Euer Volk könnte durch ein solches Mißverständnis zu Schaden kommen.«
Die Königin gab nicht nach. »Dann kommt es zu Schaden. Dadurch wird das Fehlurteil der Schwarzgewandeten nicht um einen Deut richtiger. Wir haben uns an die Vertragsbedingungen gehalten, wie es uns aufgetragen war. Wenn sie als Menschen aufgrund eines Irrtums handeln, liegt der Irrtum dennoch auf ihrer Seite, ebenso wie die Folgen.«
Mara runzelte die Stirn und überlegte, ob möglicherweise eine tiefere Bedeutung hinter den Worten der Königin lag. Die Lady der Acoma hatte schon einmal ein Verbot umgangen und nach Lösungen gesucht, die das Verbotene betrafen. Und jetzt, unfähig, die in ihr keimende Hoffnung zu unterdrücken, fragte sie sich, ob diese raffinierten Cho-ja möglicherweise gerade ein Fehlurteil heraufbeschwören wollten.
Als sie Atem
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