Tag der Entscheidung
wußte sie, daß die Cho-ja von Natur aus Wesen waren, die bei Tageslicht lebten, und sie erkannte die Bedeutung hinter der fehlenden Beleuchtung. Die Arbeiter führten sie tiefer in den Stock hinein, vorbei an unzähligen Biegungen und Ecken. Die Minwanabi erlagen der Versuchung, ihnen zu folgen. Düsternis erwartete sie. Sie würden niemals wieder lebend aus diesem Irrgarten auftauchen. Die Cho-ja mußten sich nicht die Mühe machen, sie zu töten. Menschen, die sich in den Tunneln unter der Erde verirrt hatten, würden so lange umherwandern, bis sie tot umfielen, gestorben an Hunger und Durst.
»Überbringt Eurer Königin meinen Dank«, murmelte Mara.
Die Cho-ja-Arbeiter antworteten nicht. Möglicherweise war es der Vertrag, der sie schweigen ließ, oder die Trauer um ihre gefallenen Kameraden. Mara spürte die Berührung ihrer Körper, nicht länger drängend, sondern sanft, als würde sie von einer riesigen Faust gehalten. Erst jetzt fiel ihr auf, daß ihre persönliche Sorge um Justin sie blind gemacht hatte. Diese Cho-ja taten ihr keinen Gefallen, sondern halfen ihr möglicherweise nur deshalb, um letztendlich ihrer eigenen Sache zu dienen, da sie die Cho-ja-Magier mit dem Ziel mitgebracht hatte, die Versammlung zu besiegen.
Diese Wesen sahen in dem Überleben der Lady der Acoma ihre eigene Freiheit.
Mara begriff, daß den sklavenähnlichen Arbeitern ein Gespräch möglicherweise untersagt war. Doch es bestand die Möglichkeit, daß ihre Königin nicht durch und durch neutral handelte, sondern in verdeckter Weise auf die gleichen Ziele hinarbeitete und somit eine Verbündete von Mara war.
Die Arbeiter schritten rasch weiter. Sie machten keinerlei Anstalten, auseinanderzurücken und sie auf den Boden zu stellen. Was, wenn sie eine »Aufgabe« zu erfüllen hatten, die von vornherein mit der Richtung übereinstimmte, in die sie gehen wollte? Oder schlimmer noch, was, wenn sie gedankenlos ihre Pflichten ausübten und sie an einen Ort gebracht wurde, zu dem sie gar nicht wollte? Zeit war von großer Wichtigkeit. Das Überleben ihrer Kinder hing von raschem Handeln ab.
Mara schluckte. Ihre Beine waren müde. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte keinen einzigen weiteren Schritt ohne fremde Hilfe zustande gebracht. Doch sie konnte auch nicht eingekeilt zwischen den Rückenpanzern zwölf sich rasch bewegender fremder Wesen bleiben, deren Bestimmungsort ihr unbekannt war.
Wenn sie genügend Mut aufbrächte, könnte sie fragen, ob sie nicht reiten dürfte.
Die Unverschämtheit eines solchen Ansinnens konnte ihren Tod bedeuten – sollte sie bei dem Versuch, in ihrer engen Rüstung auf einen der sich bewegenden Cho-ja aufzusteigen, abrutschen, würden die Cho-ja sie möglicherweise weiterhin überhaupt nicht beachten und über ihren gestürzten Körper hinwegtrampeln.
Cho-ja-Arbeiter hatten keine Vorstellung von dem tsuranischen Konzept der Würde. Dennoch brachte Mara es nicht fertig, sie lediglich als Lasttiere zu betrachten, und diese Einstellung ließ sie jetzt, da ihre Kraft allmählich wiederzukehren begann, schweigen. Sie erinnerte sich an Lujans Gesichtsausdruck an jenem lang zurückliegenden Tag in Dustari, als Kevin, der midkemische Sklave, den grotesken Vorschlag gemacht hatte, ihre Armeen auf den Rücken der Cho-ja-Krieger in den siegreichen Kampf zu führen.
Tränen schossen ihr bei dieser Erinnerung in die Augen. Lujan hatte blaß ausgesehen, als er auf den breiten, schwarzen Körper gestarrt hatte, den er erklimmen sollte. Und doch hatte er es getan, war fortgeritten und hatte eine große Schlacht gewonnen.
Wer war sie, jemanden wie ihn auf der Ebene von Nashika größter Lebensgefahr auszusetzen und doch nicht die gleichen Risiken einzugehen?
Ihr Herz zog sich zusammen bei dieser Vorstellung. Doch sie war verloren, wenn sie nicht einen Weg fand, die Cho-ja zur Rebellion gegen ihre Unterdrücker zu bewegen und dazu zu bringen, sich mit den Chakaha-Magiern zu vereinigen, die in einem verborgenen Bau auf ihrem Landsitz warteten; ihr Sohn und ihre Tochter würden tot sein, gestorben durch die Hand des ersten feindseligen Anwärters auf den Goldenen Thron. Wenn es nicht Jiro war, würden andere Bewerber mit der gleichen Unbarmherzigkeit vorgehen.
Und solange sie lebte, würde ihr die Versammlung der Magier niemals verzeihen, daß sie ihre Allmacht angegriffen hatte.
Sie hatte noch eine Karte auszuspielen, einen letzten verzweifelten Plan, den sie während ihrer letzten Beratung kurz vor
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