Tag der Entscheidung
einziger lebender Sohn entschlossen, sein Leben ihrer Ehre zu opfern. Dieser Augenblick war mehr, als sie ertragen konnte.
Dann brach Justin in ein Grinsen von solcher Unbekümmertheit aus, daß sie wieder an vergangene Zeiten erinnert wurde und an Kevins unbezähmbaren Humor. »Wir sollten uns beeilen«, mahnte ihr Sohn. »Die Erste Frau des Kaisers hat andauernd hysterische Anfälle, und ihre ganze Schminke wird verlaufen.«
»Was ist mit Jehilia? Hat sie auch hysterische Anfälle?« neckte Mara ihn.
Justin zuckte mit den Schultern. »Sie hat eine Zeitlang nur herumgebrüllt und sich in ihr Zimmer eingeschlossen. Dann fragte sie jemand, ob sie lieber einen Omechan mit einem dicken Wanst und grauen Haaren heiraten wolle, und daraufhin öffnete sie die Tür und ließ sich von den Zofen beim Ankleiden helfen.«
Das Mädchen besaß Verstand, dachte Mara, als sie ihren Platz neben Justin einnahm und sich darauf einstellte, die große Audienzhalle zu betreten. Arakasi stand an ihrer anderen Seite, und niemand schien zu bemerken, daß er immer noch die Kleidung eines Arbeiters trug, als sich die Türen öffneten und die Musiker mit einer Fanfare die Ankunft des Bräutigams ankündigten.
Mara trat energisch vor; sie fühlte, wie ihre Hand schwitzte, mit der sie Justins hielt. Während sie durch die Reihen der Priester der Zwanzig Höheren Orden schritten, fragte sie sich, ob die Götter sie wegen ihres Hochmuts wohl bestrafen würden, wegen der puren Dreistigkeit und Arroganz, die sie veranlaßt hatten, ihren Sohn als nächstes Licht des Himmels und zweiundneunzigsten Kaiser von Tsuranuanni auf den Thron zu setzen. Doch der Abgesandte vom Tempel Jurans, des Gottes der Gerechtigkeit, blickte keineswegs mißmutig drein, und der Hohe Priester Turakamus lächelte ihr ermutigend zu. Hinter dem Priester des Roten Gottes und etwas entfernt von den anderen standen drei in Schwarz gehüllte Gestalten, die Schwestern Sibis, der Göttin des Todes. Selbst diese furchteinflößenden Frauen schienen Mara mit einem leichten Nicken Mut zuzusprechen. Der Hohe Priester von Jastur, dem Gott des Krieges, schlug seine behandschuhte Faust salutierend vor die Brust, als Mara vorbeischritt, und ein klingender Ton erfüllte bei dem Schlag gegen die kostbare eiserne Brustplatte den Raum.
Mara machte noch einen Schritt, und noch einen, und ihr Selbstvertrauen kehrte zurück. Während sie weiterging, begannen die Priester der höheren und niederen Orden um das Podest herum ihre Positionen einzunehmen, immer zwei nebeneinander, wie es ihrer Natur entsprach. Die Priesterinnen Lashimas, der Göttin der Weisheit, neben denen von Salana, der Mutter der Wahrheit, der Priester Turakamus neben den Schwestern von Sibi, während der Hohe Priester von Jastur begleitet wurde vom Hohen Priester von Baracan, dem Herrn der Schwerter.
Vorn auf dem kaiserlichen Podest wartete ein kleines, blondes Mädchen in einem glitzernden Schleier aus goldenem Stoff. Jehilia, erkannte Mara, während die Zofen die Kopfbedeckung wegzogen; das Mädchen hatte noch Sommersprossen vom zu vielen Spielen in den kaiserlichen Gärten. Sie wirkte blaß unter der Schminke und dem Puder, doch als sie die Gute Dienerin sah, grinste sie.
»Schließt die Türen und laßt die Heiratszeremonie beginnen«, verkündete der Priester Chochocans, des Guten Gottes, zur rituellen Eröffnung. Schräg hinter ihm setzte der Hohe Priester von Tomachca, dem Freund aller Kinder, zu einem stillen Gebet an. Mara betrachtete ihn einen längeren Augenblick und erinnerte sich, daß der geringere Bruder Chochocans auch als Friedensbringer bekannt war. Sie betete, daß er das auch heute sein würde.
Justin drückte ein letztes Mal Maras Hand, bevor sie ihn losließ, damit er seinen Platz an der Seite der Prinzessin einnehmen konnte. Mara ging hinüber zu Hokanu, und als die Zeremonie begann, glitt ihre Hand in seine.
Im Kaiserlichen Palast wimmelte es nur so von Menschen. Boten eilten hin und her, und Bedienstete schritten zielstrebig in höchster Eile über die verschiedenen Innenhöfe, um Aufträge auszuführen. Shimone von der Versammlung saß, auf einen Ellenbogen gestützt, am Fensterbrett und betrachtete ihren Eifer mit einem tiefsinnigen, schwer zu deutenden Blick. Sein Gesicht wirkte ernster als gewöhnlich, und er war noch schweigsamer als sonst. Er bewegte leicht den Kopf, und die ungewöhnliche Aktivität erregte Aufmerksamkeit.
Hochopepa bemerkte die Geste; er saß auf einigen Kissen vor einem
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