Tag der Entscheidung
Auseinandersetzung beginnen, wenn sie jeder Alternative beraubt sind. Zunächst einmal verlassen sie die Stöcke, in die die Erhabenen und ihre Krieger eingedrungen sind, und lassen ihnen viele leere Galerien und Tunnel zurück, die sie in der Dunkelheit durchsuchen können. Die menschlichen Armeen machen nur geringe Fortschritte. In diesem Augenblick konzentrieren sie sich vor allem auf den Süden, ganz in der Nähe Eures alten Landsitzes. Doch die Suche wird sich schon bald ausweiten. Eure Erhabenen sind keine Narren.«
»Dann ist die Stunde gekommen«, sagte Mara und verblüffte alle Anwesenden mit einer scheinbar unerschöpflichen Kraft. »Schreiten wir also zur Tat.«
Auf dieses Wort hin gaben die Cho-ja-Magier ein Zeichen. Eine Truppe aus Arbeitern marschierte zum vorderen Teil des Tunnels und begann, einen Gang nach oben zu graben. Erde rieselte herab, gefolgt von Klumpen aus Mörtel und Ziegelsteinen. Licht durchdrang die Düsternis, gelb und klar vom gewölbten Oberlicht über dem kaiserlichen Vorzimmer.
Ein Cho-ja streckte seinen Kopf durch die Öffnung. Er summte eine kurze Nachricht, und der Magier bei Mara meinte: »Im Vorzimmer sind keine Feinde. Euer Mann und Euer Sohn warten auf Euch.« Dann hielt er inne, schien zu zögern. »Lady«, meinte er schließlich, »wir wünschen Euch Glück und Mut. Aber beeilt Euch. Unser Zauberbann kann den Angriff der Schwarzgewandeten nicht unendlich lange zurückhalten. Ihr habt nur eine kurze Zeitspanne, um all das auszuführen, was Ihr vorhabt. Dann wird ein Chaos ausbrechen und ein vernichtender Rückschlag aufgestauter Energien erfolgen. Wir möchten, daß Ihr eines wißt, auch wenn Ihr versagt oder wenn wir versagen: Es war dieser Kampf, für den wir von Chakaha hergeschickt wurden. Wir sind mehr als nur Eure Verteidiger, Gute Dienerin; wir sind die Botschafter einer neuen Ordnung.«
Mara blickte in die fremdartigen Gesichter, die mit einem Ausdruck über ihr aufragten, den kein Mensch jemals wirklich erfassen konnte. Es entging ihr nicht, daß beide ihre Schwingen zu einer kampfbereiten Haltung entrollt hatten; sie bereiteten sich darauf vor, sich der Macht der vereinten Versammlung entgegenzustellen. Ihr Mut rührte sie zu Tränen. »Ihr sollt wissen, gute Freunde, daß ich euch nicht enttäuschen werde, solange ich lebe. Wir werden triumphieren oder gemeinsam untergehen.«
Sie drehte sich um und wandte sich wieder nach vorn, damit ihr Mut nicht unter der drückenden Gefahr schwand. Aufrecht und starr in ihren goldgesäumten Gewändern trat die Gute Dienerin des Kaiserreiches auf die Öffnung zu.
Mara schritt unsicher über die zu Boden gefallene Erde und die Brocken aus Mörtel und Ziegeln. Arakasi ging unauffällig neben ihr her, und einmal warf sie ihm ein kurzes, dankbares Lächeln zu; nach dem Beisammensein mit so vielen Cho-ja war sie froh über die Gegenwart eines Menschen.
Und dann war sie draußen, geblendet vom Sonnenlicht des späten Nachmittags und von dem Glanz einer wunderbar funkelnden goldenen Rüstung.
Sie hielt den Atem an. Rote Haare quollen unter dem Helm aus Gold hervor; Justins rote Haare, wie sie voller Herzklopfen begriff. In der Rüstung des Kaisers sah er gar nicht mehr wie ein Junge aus. Mara war verblüfft bei dem Gedanken, daß dies die Stunde seiner Hochzeit war.
Ihre Beine gaben beinahe nach, als der Junge sich vor ihr verbeugte, der Sohn vor der Mutter, wie es sich gehörte. Der ganze Glanz der Goldarbeiten kam ihr falsch vor, und es war, als müßte sie sich verneigen, wie sie es einst vor Ichindar getan hatte.
Dann richtete der Junge sich wieder auf und gab einen nicht besonders würdevollen Aufschrei von sich. »Mutter!« rief er und rannte auf sie zu.
Mara vergaß ihre Kleider und breitete die Arme aus. Ihr Sohn warf sich in ihre Umarmung, größer, schwerer jetzt, schon deutlich eher ein Mann. Als er seine Arme um ihren Hals legte, merkte sie, daß sie sich nicht mehr bücken mußte, um ihn zu umarmen. Seine Schultern waren auf eine Weise breit geworden, die ihr vertraut war. Er war ganz Kevins Sohn, dachte Mara. Diese Erkenntnis gab ihr das Bewußtsein der Würde zurück.
Als ihr Sohn sich aus der Umarmung löste, betrachtete er sie mit Augen, die das Spiegelbild seines barbarischen Vaters waren. »Ich bin bereit, Gute Dienerin. Prinzessin Jehilia wartet.«
Mara brachte keinen Ton heraus. Sie hatte bereits zwei Kinder verloren, Ayaki und das Kleine, das vor der Geburt vergiftet worden war. Jetzt war ihr
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