Tag der Entscheidung
sich nicht um, sondern warf ihm eine verächtliche Bemerkung zu. »Männer!« vertraute sie Mara in fließendem Tsurani an. »Bedauerlich nur, daß ihr Hirn nicht so schnell reagiert wie ihre Männlichkeit, wenn eine Situation mal etwas Schlauheit von ihnen verlangt.«
Immerhin so überrascht, daß sie beinahe gelächelt hätte, wenn ihr nicht so elend zumute gewesen wäre, gab Mara ihrer Neugier nach. »Stimmt es, daß Eure Frauen bei Überfällen auf ihre Familien gestohlen werden?«
Die Frau im Umhang wandte Mara den Kopf zu, und sie sah ein Gesicht, das von Entbehrungen und Heiterkeit gezeichnet war. »Ja, sicher«, erwiderte die Häuptlingsfrau, halb lachend und halb verächtlich. »Würdet Ihr Euch zu einem Mann legen, der sich nicht als fähiger Krieger erwiesen hat? Der seinen Feinden keine Angst einjagt und kein geschickter Ernährer ist?«
Mara zog unwillkürlich ihre Augenbrauen hoch. Es waren die gleichen Eigenschaften, die tsuranische Mädchen in einem Ehemann suchten, wenn sie auch andere Werbungsriten pflegten. Die Herrin der Acoma hatte nie daran gedacht, eine Sitte, die sie für barbarisch hielt, in diesem Licht zu betrachten. Aber auf sonderbare Weise ergaben die Worte dieser Frau einen Sinn.
»Nennt mich Ukata«, sagte die Frau des Häuptlings warmherzig. »Und wenn mir etwas leid tut, dann, daß ich so lange gebraucht habe, etwas Verstand in meinen dummen Mann zu prügeln und ihn dazu zu bringen, Euch vor der Kälte zu verschonen!«
»Ich muß noch viel über die Thuril lernen«, gab Mara zu. »Dem Gerede Eurer Männer nach hätte ich gedacht, daß Frauen in diesem Land nur wenig Einfluß besitzen.«
Ukata grunzte, als sie Mara half, die niedrige Holztreppe zu dem Haus emporzusteigen, das in der Mitte des Platzes stand – eine lange Halle aus Balken mit einem strohgedeckten Dach. Der Rauch aus dem Kamin roch nach aromatischer Rinde, und in die Türpfosten waren seltsame Fruchtbarkeitssymbole geritzt. »Es sind zwei Paar Stiefel, was Männer von sich behaupten und was sie tatsächlich sind. Das müßtet Ihr in Eurem Alter doch wohl wissen!«
Mara schwieg. Sie hatte das Glück, mit einem Mann verheiratet zu sein, der sie als ebenbürtig ansah, und sie hatte einen Liebhaber aus einem fremden Land gehabt, der sie die wahre Bedeutung des Frauseins gelehrt hatte. Doch sie wußte von dem Schicksal der vielen anderen, die unter der Herrschaft ihrer Männer standen. Den Unglücklichsten von ihnen erging es wie Kamlio: Sie waren nicht in der Lage, Einfluß auf die sie betreffenden Entscheidungen zu nehmen. Die Besten waren vorzüglich im Manipulieren, so wie Isashani von den Xacatecas. Den Männern galt sie als das vorbildliche Beispiel einer tsuranischen Frau, und sie hatte sich bisher weder durch einen Lord, Verbündeten oder Feind unterkriegen lassen. Ukata schob den hölzernen Riegel zurück und stieß die Tür auf; die Angeln quietschten. Goldenes Licht ergoß sich in die Nacht, und die Luft roch nach dem süßen Rauch der Rinde, die in der steinernen Feuerstelle brannte. Mara folgte der Frau des Häuptlings ins Innere.
»Hier«, sagte eine Frau mit freundlicher Stimme, »zieht die schmutzigen Sandalen aus.«
Maras Glieder waren vollkommen steif, und sie konnte sich nur langsam bücken, als sie von mehreren Händen auf einen Holzstuhl gedrückt wurde. Gewöhnt an Kissen, ließ sie sich unbeholfen darauf nieder, während ihr ein Mädchen mit rotbraunen Zöpfen die Schuhe auszog. Der weiche Webteppich auf dem Fußboden war ein Segen für ihre kalten Füße. Mara war so erschöpft, daß sie fast da eingeschlafen wäre, wo sie saß. Nur mit Mühe hielt sie sich wach. Möglicherweise würde sie eine Menge von den Leuten in Thuril lernen, wenn diese Frauen Interesse daran hatten, sich zu unterhalten. Aber als sie den rauhen Akzent hörte und das schüchterne Lächeln der unverheirateten Mädchen sah, deren Heim sie teilte, begriff Mara, daß ihr für Gespräche zwischen Frauen die Gewandtheit Isashanis fehlte. Sie war vertrauter mit der Politik bei Clanversammlungen und mit den Problemen der Herrschaft, und so rieb sich die Lady der Acoma einen ihrer geschundenen Knöchel und wartete auf die rettende Inspiration.
Sie brauchte eine Übersetzerin. Die unverheirateten Mädchen schienen alle unter sechzehn zu sein, zu jung, um zur Zeit des letzten Krieges gelebt und Tsurani gelernt zu haben. Mara studierte die vom Licht beschienenen Gesichter, bis sie Ukatas grauhaarigen Kopf ausmachen konnte; wie sie
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