Tag der Entscheidung
meldete sich erneut zu Wort. »Es ist spät, und Ihr werdet früh am Morgen aufbrechen. Ich schlage vor, daß Ihr Euch von den Mädchen eine Schlafmatte zeigen laßt und noch etwas schlaft.«
»Ich danke Euch, Lady Ukata.« Mara beugte achtungsvoll den Kopf und ließ sich in einen kleinen Alkoven führen, der den thurilischen Mädchen als Schlafgemach diente. Der Fußboden war mit Fellen ausgelegt, und die noch brennende kleine Öllampe ließ eine Welle aus hellen Haaren erkennen, die sich über das Bett ergossen. Kamlio lag dort bereits reglos zusammengerollt auf der Seite. Ihre schöne Haut war ohne blaue Flecken. Erleichtert, daß Arakasis schöne Kurtisane unbehelligt geblieben war, gab Mara dem wartenden thurilischen Mädchen ein Zeichen, daß alles in Ordnung war. Dann zog sie dankbar ihr schmutziges Kleid aus. In ihrem dünnen Unterkleid schlüpfte sie unter die Felle und streckte die Hand aus, um die Lampe zu löschen.
»Mylady?« Kamlio hatte die Augen geöffnet und beobachtete Mara. Sie hatte nicht wirklich geschlafen, sondern nur so getan. »Lady Mara, was wird mit uns geschehen?«
Mara ließ die Lampe an, zog die Felle dicht an sich heran und studierte das Mädchen, dessen Augen wie Juwelen funkelten. Kein Wunder, daß Arakasi vor Verlangen nach ihr überwältigt war! Kamlio konnte mit ihrem zarten, cremefarbenen Teint jeden Mann verzaubern. So gerne die Lady der Acoma sie auch beruhigt hätte, sie wußte, es war besser, ihr nichts vorzumachen. Wenn sogar ihr Supai durch den Reiz der Kurtisane seine Gefühle entdeckt hatte, was mochten erst die Thuril alles tun, um sie zu behalten – sie, deren Tradition es war, Frauen zu rauben? »Ich weiß es nicht, Kamlio.« Mara gab sich müde, konnte ihre Zweifel aber nicht verbergen.
Die zarten Finger der ehemaligen Kurtisane krallten sich in das Fell. »Ich will nicht bei diesen Leuten bleiben.« Es war das erste Mal, daß es um ihre persönlichen Wünsche ging und sie den Blick nicht schüchtern abwandte, als sie sprach.
»Was willst du statt dessen tun?« Mara rieb sich die von den Fesseln verletzten Stellen. »Du bist zu intelligent, um als Zofe bei mir zu bleiben, Kamlio, und zu wenig gebildet, um eine Stelle mit mehr Verantwortung zu übernehmen. Was würdest du gerne tun?«
Kamlios grüne Augen blitzten. »Ich kann lernen. Auch andere Leute in Eurem Dienst bekleiden Ränge, in die sie nicht hineingeboren wurden.« Sie biß sich auf die vollen Lippen, und nach kurzer Zeit schien die Anspannung von ihr zu weichen, so als ließe sie eine innere Mauer fallen, als sie von ihrem Ehrgeiz sprach. »Arakasi«, begann sie unsicher. »Warum hat er Euch so gebeten, mich freizukaufen? Und warum habt Ihr seiner Bitte entsprochen, wenn nicht deshalb, um mich ihm zu überlassen?«
Mara schloß kurz die Augen. Sie war zu müde für ein solches Gespräch! Ein einziges falsches Wort, eine einzige ungenügende Antwort, und sie setzte alles aufs Spiel, was sich ihr Supai an Glück erhofft hatte. Ehrlichkeit war der beste Weg, aber wie sollte sie die richtigen Worte finden? Kopfschmerzen plagten sie, und jeder Muskel in den steifen Gliedern schmerzte. Die Lady der Acoma erkannte, daß Isashanis Taktgefühl tatsächlich jenseits ihrer Fähigkeiten lag. Es mußte also die unverblümte Art genügen, die sie von Kevin von Zûn gelernt hatte. »Ihr erinnert ihn an seine Familie, an seine Mutter und Schwester, die ebenfalls in ein Leben hineingeboren wurden, das nicht zu ihnen paßte, und die auch nie zu lieben gelernt haben.«
Kamlios Blick weitete sich. »Welche Familie? Er hat mir erzählt, daß Ihr seine Familie und all seine Ehre seid.«
Mara nahm die Last, die mit dieser Äußerung verbunden war, auf sich. »Das bin ich möglicherweise geworden. Aber Arakasi wurde von einer Frau aus der Ried-Welt geboren. Er hat niemals erfahren, wer sein Vater war, und er mußte zusehen, wie seine einzige Schwester von einem lüsternen Mann getötet wurde.«
Die Kurtisane nahm diese Nachricht schweigend auf. Mara beobachtete sie, fürchtete bereits, zuviel gesagt zu haben, ohne jedoch aufhören zu können. »Er möchte, daß du dich von deiner Vergangenheit trennen kannst, Kamlio. Ich kenne ihn gut genug, um dir eines zu geloben: Er wird dich um nichts anderes bitten als das, was du ihm aus freien Stücken zu geben bereit bist.«
»Das ist die Art, wie Ihr Euren Ehemann liebt«, sagte Kamlio, und in ihren Worten lag die schneidende Schärfe eines Vorwurfs, so als ob sie der Existenz
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