Tag der Entscheidung
beiden schritten auf ihre Herrin zu. Ihren erfahrenen Blicken entging nicht, wie klein, entmutigt und einsam sie aussah, auch wenn sie ihren Rücken aufrecht hielt und ihr Gesicht so gebieterisch war wie immer.
Sie sah zu, wie sich einige Hochländer um Kamlio und den Esel kümmerten. »Glaubt Ihr, daß sie ihr etwas antun werden?« wollte sie von Iayapa wissen, und jene, die ihr am nächsten standen, erkannten die Besorgnis in ihrer Stimme.
Der einstige Hirte schüttelte den Kopf. »In diesem rauhen Land gibt es immer zuwenig Frauen im gebärfähigen Alter, und Kamlio ist sehr schön, das macht sie doppelt wertvoll. Aber das Oberhaupt dieses Stammes muß seine Zustimmung geben, bevor irgendein Mann um sie feilschen kann. Solange sein Einverständnis fehlt, wird sie zwar bewundert, aber nicht auf ein Lager gezerrt werden. Jeder unverheiratete Krieger weiß, daß er sich der Möglichkeit auf eine Heirat ein für allemal berauben würde, wenn er sie jetzt belästigt. Da viele unverheiratete Hochländer sterben müssen, ohne jemals ein Frau zu haben, werden sie auch eine noch so kleine Chance niemals gefährden.«
Mara schluckte. »Gibt es denn in diesem Land keine Kurtisanen?«
Iayapa schaute gekränkt. »Nur wenige in Darabaldi. Nicht viele Frauen wählen ein solches Leben, das dem Stamm keinerlei Ehre einbringt. Die jungen Männer gehen ein-oder zweimal im Jahr zu ihnen, aber das schenkt ihnen keinen Trost in den langen Winternächten.«
Über den Kopf des kleinen Hirten hinweg wechselten Lujan und Saric Blicke. »Scheint mir ein netter Ort zu sein«, murmelte Saric und schaute wieder angesäuert auf den von Mist bedeckten Boden, auf dem sie, wie es schien, alle zusammen die Nacht würden verbringen müssen. Diese Thuril fanden es normal, ein Mädchen oder eine Frau in einem blutigen Überfall aus ihrem Haus zu rauben. Selbst die unterdrückteste tsuranische Ehefrau hatte dagegen das Recht, öffentlich von ihrem Lord angehört zu werden. »Wirklich barbarisch!« murmelte Saric. Dann schauderte er, als ein kalter Wind von den Höhen herunterblies. Er blickte seine kleine Lady an und bewunderte ihre Courage, selbst jetzt noch ihre Würde zu bewahren. Die Vorstellung, daß völlig Fremde sie fesseln und nicht besser als eine Sklavin behandeln könnten, brachte ihn so sehr in Rage, daß er zu töten bereit gewesen wäre.
Als hätte sie seine Gedanken lesen können, lächelte sie ihn an, mit jenem Charme, der bei ihren Männern immer Loyalität und Stolz erzeugte. »Ich komme zurecht, Saric. Paßt Ihr nur auf Euren Cousin auf, damit nicht sein Temperament mit ihm wegen etwas durchgeht, das nicht wichtig genug ist. Weil dies« – sie hob die Hände, die noch immer mit rauhen Lederriemen zusammengebunden waren – »und dies« – dabei scharrte sie mit dem Fuß über den schmutzigen Boden – »keine Bedeutung hat. Die Versammlung der Magier würde noch Schlimmeres anrichten. Wenn ich die Gelegenheit haben werde, mit dem Stammesoberhaupt der Thuril in Darabaldi sprechen zu können, sollten wir nur darauf unsere Aufmerksamkeit konzentrieren.«
Die Dunkelheit nahm zu, und orangefarbene Schimmer erschienen hinter den aus geölten Häuten hergestellten Fenstern am Marktplatz, als Talgkerzen angezündet wurden. Mara neigte den Kopf und schien sich in die Meditationen zu vertiefen, die sie während ihrer jetzt so weit zurückliegenden Mädchenzeit bei den Priesterinnen im Tempel Lashimas gelernt hatte.
Eine Berührung an der Schulter weckte Mara. Sie lag auf dem Umhang ihres Kommandeurs, den dieser ihr als Schutz vor dem kalten und schmutzigen Boden aufgedrängt hatte. Lujan und Saric hatten sich eng an sie geschmiegt und wärmten sie mit ihren Körpern. Nur langsam erwachte Mara aus einem tiefen Schlaf völliger Erschöpfung. Sie blinzelte, rührte sich und öffnete die Augen. Es war dunkel, bis auf den schwachen Schein einiger noch immer erleuchteter Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes.
»Was ist los?« Ihr Körper war steif und schmerzte; sie spürte jeden einzelnen blauen Fleck und jede Schürfwunde von dem langen Marsch. »Es kommt jemand«, flüsterte Saric, und dann sah auch sie den Schimmer einer Laterne näher kommen.
Die Person in dem Umhang, die die Lampe trug, war eine Frau. Sie nickte der Wache kurz zu, sprach aber nicht mit ihr. Etwas wanderte von einer Hand in die andere, und ein geschnitzter Gegenstand blitzte im Schein der Flamme auf.
Der Wächter lachte daraufhin und
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