Tag der Vergeltung
einen Strohhalm. Nur nicht mit leeren Händen ausgehen.
Dana Aronov sah sich das Foto von Nevo genau an.
»Tut mir leid, er ist es nicht«, sagte sie schließlich.
»Woher wissen Sie das?«, entfuhr es ihm, und er bereute die Frage sogleich.
»Der Mann, der mich vergewaltigt hat, hatte ein Gesicht mit vielen kleinen Narben, eine breitere Nase und schmalere Lippen.«
50
Bezirksstaatsanwältin Rachel Zuriel schluckte ihre Tablette gleich ohne Wasser hinunter. Nachdem sie in der Zeitung gelesen hatte, wie schädlich Schmerztabletten sein konnten, vor allem Optalgin, das sie seit Jahren einnahm, versuchte sie es zu drosseln, nur ließ ihr die Kopfschmerz-Attacke, die sie nach dem Treffen mit Galith Lavi überkommen hatte, keine Wahl.
Sie hatte Lavi in ihr Büro gebeten, um sie von der Unterredung mit Schuki Borochov und seinem Angebot in der Sache Ziv Nevo zu unterrichten. Nicht nur, weil Lavi den Fall Nevo untersucht hatte, sondern weil sie die Meinung der jungen Staatsanwältin im Allgemeinen schätzte. Während ihres Gesprächs mit Borochov, so hatte ihr Lavi zu ihrer Bestürzung erzählt, waren dem zweiten Vergewaltigungsopfer, das inzwischen bei Bewusstsein war, Lichtbilder vorgelegt worden. Nicht allein, dass sie Ziv Nevo nicht als Vergewaltiger identifiziert hatte, sie hatte den Untersuchungsbeamten nach der Präsentation der Fotos unmissverständlich mitgeteilt, dass er nicht der Mann sei.
Eli Nachums Behauptungen schienen zu stimmen. Nevo hatte Aronov nicht vergewaltigt. Es bestand sogar erheblicher Zweifel daran, dass er Regev vergewaltigt hatte. Die ganze Zeit über hatten sie den falschen Mann gejagt und auch noch dafür gesorgt, dass er wegen einer Straftat verurteilt worden war, die er nicht begangen hatte.
»Rachel, ich möchte dich darum bitten, ihn in den Deal einzubeziehen, den ihr mit Faro schließt«, hatte Galith zu ihr gesagt, nachdem sie von Schuki Borochovs Angebot erfahren hatte.
»Warum sollte ich so etwas tun?«, hatte sie verwundert gefragt und überlegt, ob sie Galith erzählen sollte, dass sie nicht auf einen Deal aus war, nicht einmal, als sie Nevo noch für schuldig gehalten hatte. Und was nun, da sich herausstellte, dass er unschuldig war und an seiner Ergreifung kein öffentliches Interesse bestand?
»Das sind wir ihm schuldig, Racheli«, hatte Galith hinzugefügt, ohne auf die Frage einzugehen, »wir haben diesem Menschen Unrecht getan. Faros Leute wissen nicht nur, wo Nevo steckt, es ist sehr wahrscheinlich, dass sie ihn sogar in ihrer Gewalt haben. Wenn du jetzt Schuki anrufst und ihm sagst, dass Nevo unschuldig ist und die Polizei kein Interesse mehr an ihm hat, können wir unmöglich wissen, was sie ihm antun. Diese Leute entscheiden womöglich, dass es das Beste ist, ihn umzubringen, bevor er singt …«
»Galith, ich denke, du übertreibst ein wenig.« Insgeheim musste sie zugeben, dass diese Befürchtungen nicht unbegründet waren. Galith kannte sich mit Faros Organisation aus. Vor einigen Monaten hatte sie einen Fall gegen einen seiner Leute abgeschlossen: Jariv Cohen war wegen Mordes verurteilt worden. Obwohl er unter Druck gesetzt worden war und sie ihm verführerische Angebote gemacht hatten, hatte er seinen Boss nicht verraten und lieber eine lebenslängliche Verurteilung hingenommen. Während des gesamten Verfahrens hatte Lavi Drohungen erhalten, denen sie sich nicht gebeugt hatte.
»Das sind wir ihm schuldig, Racheli«, wiederholte sie. »Er hat ein kleines Kind. Hätten wir nicht … Wären mir nicht diese Fehler passiert, wäre es nie dazu gekommen …«
»Ich verstehe, was du meinst«, in ihrer Stimme schwang Verständnis, und sie sah der jungen Frau in die Augen, »dennoch ist das Risiko, dass Nevo etwas zustößt, gering, reine Spekulation. Was hier auf der Tagesordnung steht …«
»Racheli, diese Leute spekulieren bestimmt nicht, und falls doch – nehmen wir das mal für einen Moment an –, hat er es nicht verdient, diesem Risiko ausgesetzt zu werden«, hatte sie zurückgegeben.
Rachel schloss die Augen. Der Schmerz hämmerte in ihrem Schädel. Durch die geschlossene Tür drang der übliche Bürotumult: Leute unterhielten sich, Telefone klingelten. Sie hatte Galith versichert, ihre Worte zu überdenken.
Zugeben würde Rachel Zuriel es zwar nicht – allein der Gedanke ließ sie vor Scham erröten –, dennoch hoffte sie, dass Faros Leute ihnen dabei behilflich wären, das Problem Ziv Nevo unter den Teppich zu kehren. In den vergangenen Jahren
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