Tag der Vergeltung
sein eigenes Grab geschaufelt. Die Organisation kannte für Quasselstrippen und Verräter nur eine Strafe. Das hatte Golan sehr wohl gewusst. Und er auch.
Unwillkürlich holte ihn die Erinnerung ein, wie er vor dreizehn Jahren dabei zugesehen hatte, wie sie seine Mutter tot aus ihrer Wohnung gerollt hatten. Er hatte sie gefunden. Wie Golan war sie an einer Überdosis gestorben. Jede noch so kleine Einzelheit jenes Tages war ihm im Gedächtnis geblieben. Vor allem der saure Geruch des Todes in der Wohnung. Er war erst sechzehn gewesen, und obwohl Rachel Meschulam ihm nie eine Mutter gewesen war, hatte ihn ihr Tod getroffen. Er hatte gewusst, dass er nun vollkommen auf sich gestellt war.
Diese grässliche Erinnerung ergriff von ihm Besitz, das verstimmte ihn. Was war, das war. Er war jetzt im Job. Und dieser Job war alles, was er hatte. Was war er ohne ihn?
Gestern hatte Schuki Borochov ihn angerufen. In letzter Minute hatten sie von einem ihrer Männer bei der Polizei erfahren, was Sache war. Navon und sein Ermittlerteam hatten gegen Faro wenig in der Hand. Im Prinzip gar nichts. Golan hatte mit seinem Schwager geplaudert und ihm ganz allgemein von den Drogen erzählt, die sie umschlugen. Der Schwager hatte es wiederum seinem besten Freund erzählt. Und mit welchem Resultat? Dieser Freund war ein Bulle. Wie dämlich konnte ein Mensch sein?
Polizei und Staatsanwaltschaft pokerten, ließen sich nicht in die Karten schauen und logen, dass sich die Balken bogen. In dem Telefonat mit der Bezirksstaatsanwältin hatte Schuki ihr mehr oder weniger zu verstehen gegeben, sie solle sich zum Teufel scheren.
Die Tür zum Fond des Krankenwagens wurde geöffnet und Golan in einem schwarzen Sack hineingeschoben. Gegen gewisse Gesetze durfte man nicht verstoßen. Wieso quatschte er auf einmal mit seinem Schwager? Nervenschwache Leute, die nicht dichthielten, keine Würde hatten und nicht loyal waren, hatten bei ihnen nichts verloren.
Den Befehl, Golan auszuschalten, hatte ihm Schuki aus Faros Zelle in Abu Kabir überbracht. »Behutsam«, hatte die Anweisung gelautet, und er hatte verstanden: weder Schüsse noch Explosionen, sondern in aller Stille.
Daraufhin war er von Schufa aus nach Tel Aviv gefahren, während Nevo bei Georges Leuten seine Wunden geleckt hatte.
Er hatte Golan gepanschtes Crystal Meth zukommen lassen, das hatte den Job erledigt. Selbst wenn die Polizei die Organisation im Verdacht hätte, könnte sie die Sache kaum zu ihnen zurückverfolgen. Die Droge war durch viele Hände gegangen, und keiner war darauf aus, zu singen. Keiner würde den Mund aufmachen und wegen einem wie Golan die Konfrontation mit Faro suchen.
Der Krankenwagen preschte an ihm vorbei. Er sah die beiden Sanitäter nebeneinander sitzen und lachen. Wen kümmerte es? Beim Abholen seiner Mutter hatten sie nicht mal einen Versuch unternommen, sie zu retten. Ein erbärmlicher Junkie. Wer scherte sich drum?
Er machte kehrt und ging zu seinem Wagen. Es war kühl, und er schloss sein Jackett. Jetzt musste er nur noch die Sache mit Ziv Nevo regeln. Schuki hatte ihm gesagt, dass Faro ihn gehen lassen wolle. Diese Deppen von der Polizei hatten endlich kapiert, dass Nevo keine Vergewaltigung begangen hatte.
Warum sollte er Nevo eigentlich nicht gehen lassen? Inzwischen war klar, dass er den Mund gehalten und die ganze Zeit über die Wahrheit gesagt hatte. Außerdem wollte es Faro so. Andererseits wusste Nevo zu viel. Bisher hatte er vor Faro verbergen können, was Nevo in jener Nacht in der Louis-Marshall zu tun gehabt hatte. Doch die Dinge konnten sich ändern. Nevo könnte reden. Nicht unbedingt bei den Bullen, sondern bei Faro oder seinem Kumpel Noam. Dass Faro mit Nevo Mitleid hatte, ihn wieder als Chauffeur haben wollte, fehlte ihm gerade noch, auf einer ihrer Touren kämen sie ins Plaudern und sein Geheimnis ans Licht.
Mit dieser Unsicherheit könnte er nicht leben. Dass Nevo bis jetzt geschwiegen hatte, hieß gar nichts – an einem Tag war man stark, am nächsten schwach. Und dann wäre die Kacke am Dampfen.
Faro hatte angewiesen, Nevo nach Israel zurückzubringen, doch auf der Strecke konnte so manches passieren. Faro täte es womöglich leid, aber trauern würde er nicht. Mit Nevos Tod könnte Meschulam endlich seine glanzlose Nullnummer ausbügeln, seinen einzigen Fehler in all den Jahren. Aus der Sache mit Golan hatte er eins gelernt: für Fehler bezahlte man. Er hatte keine Wahl. Er musste auf sich aufpassen. Wer sonst würde es
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