Tag der Vergeltung
eines imaginären Vergehens angeklagt hatte.
»Wie fühlt sich eine Staatsanwältin, die für die Verurteilung eines Unschuldigen verantwortlich ist?«, »Was unternehmen Sie, um den wahren Täter zu ergreifen?«, schickte er ihm die Fragen, die er stellen sollte.
Unter anderen Umständen hätte er sich darauf eingelassen. Die Chance, dass sie ihm ein Interview gab, war gering. Doch die Idee fand er gut. Zweifellos gehörte so etwas zu seinem Job. Nach Nevos Verurteilung hatte er sie angesprochen, doch sie hatte ihn nur loswerden wollen.
Aber er war mehr als bedient. Seit dem Artikel steckte er in einer Sackgasse. Nachum weigerte sich, auch nur ein Wort mit ihm zu reden. Dutzende Male hatte er ihn angerufen, und vorgestern hatte er vor seinem Haus auf ihn gewartet. Nichts zu machen. Tamar, die Kellnerin im Zodiac, auf deren Informationen er gebaut hatte, hatte gekündigt, und keiner wollte ihm verraten, wie man sie erreichen konnte. Ohnehin war das Café, das bis dahin floriert hatte, seit dem Artikel wie leer gefegt. Mehrere Male hatte er versucht, mit den Kellnern ins Gespräch zu kommen, doch Antworten hatte ihm keiner geben wollen. Alle warfen ihm misstrauische Blicke zu, gerade so, als wäre er der Vergewaltiger.
Heute Morgen hatte er beschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Er war an den Inhaber des Cafés herangetreten und hatte sich vorgestellt, ohne Spielchen: »Ich heiße Amit Giladi und bin Journalist. Ich will dabei behilflich sein, herauszufinden, wer von Ihren Gästen der Vergewaltigungstäter ist, damit das Café wieder so gut läuft wie zuvor.« Dass man ihn nicht mit offenen Armen empfangen würde, hatte er sich schon ausgemalt, doch mit einer solchen Attacke hatte er nicht gerechnet. Der Inhaber kannte Dori seit Jahren, nicht nur durch das Café, wie er erfuhr. Der Mann hatte sich nicht nur geweigert, mit ihm zu reden, er hatte Dori verflucht: »diese Schlange, dieser verfluchte Mistkerl«, und ihn hinausgeworfen. Wieder hatte Dori ihn auflaufen lassen. Hätte er ihn nicht vorwarnen können? Er konnte schon hören, was er darauf entgegnen würde: »Leg dir endlich eine raue Schale zu, Junge!« Wieder würde Dori ihn aufziehen, weil er über das Gebrüll des Inhabers erschrocken war. Das ärgerte ihn so dermaßen, dass er sich nicht bei ihm melden wollte.
Das Handy summte erneut, als er gerade auf sein Motorrad stieg. »Mach dich dorthin. Ich will dieses Interview mit ihr!!! Hab keine anderen Reporter!!!«, schrieb Dori.
Dieses Miststück. Womit hatte er das verdient? Dori sei problematisch, das hatten ihm alle prophezeit, als er bei der Zeitung angefangen hatte. Ein talentierter Journalist, aber ein äußerst schwieriger Chef. Er hatte es nicht hören wollen. Offenbar hatte er es doch verdient.
»Ich habe mit der Ermittlung zu tun, auf die du mich angesetzt hast. Vielleicht gehst du ja selbst?«, schrieb er zurück und startete sein Motorrad, ohne eine Antwort abzuwarten.
Er musste Nachum dazu überreden, mit ihm zusammenzuarbeiten. Bei Dori konnte er nicht länger bleiben. Seine einzige Chance, es in dem Beruf zu etwas zu bringen, war ein riesiger Exklusivartikel, dazu musste er den Täter finden. Nur so würde aus ihm ein gefragter Journalist.
Er gab Gas und fuhr zu Nachums Wohnung. Dass er den Kommissar mit Geringschätzung gestraft hatte, war ein Fehler gewesen. Die Dinge, die er ihm im Krankenhaus gesagt hatte, bestätigten sich jetzt. Nachum hatte als Erster begriffen, dass Nevo unschuldig war und der eigentliche Vergewaltiger frei herumlief.
Jetzt war er an der Reihe, wiedergutzumachen, was er ruiniert hatte. Nachum war immer noch dazu bereit, für seine Fehler zu büßen, die schließlich in Nevos Verurteilung gemündet hatten. Zusammen wären sie ein gutes Team, er musste ihn umstimmen. Er würde arbeiten wie verrückt, jeden Stein umdrehen. Letztlich würden sie den Täter aufspüren, der Meinung war auch Dori (als Journalist hatte er einen ziemlich guten Riecher, das musste er zugeben).
Dann würde er dieser Schlange schon zeigen, aus welcher Richtung der Wind wehte. Er würde die Story einer anderen Zeitung verkaufen. Das würde ihn demütigen. Ihn klein machen. Für die bloße Möglichkeit, diesen Traum wahr zu machen, musste er Nachum jetzt auf allen vieren um Verzeihung bitten.
55
David Meschulam beschloss, die Dämmerung abzuwarten, bis er von Schufa aufbrach. Er wälzte sein Problem hin und her und kam immer wieder zur gleichen Schlussfolgerung: Nevo durfte
Weitere Kostenlose Bücher