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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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darüber nachdachte, desto stärker neigte er dazu, nichts zu unternehmen. Von vornherein war ihm nicht wohl dabei gewesen, Merav das Schreiben zu geben. Und wenn es sie in noch größere Gefahr brachte? Sie dahinterkämen, dass es sich bei ihr befand?
    »Halt mal kurz, ich muss pinkeln«, hörte er Meschulam von hinten.
    Er holte tief Luft. Jetzt würde es passieren – sie würden ihn aus dem Auto zerren und ihn hier, mitten im Westjordanland, kaltmachen. Sollte er noch etwas sagen, doch welchen Sinn hatte es? Der Befehl, ihn zu vernichten, kam sicher direkt von Faro. Dagegen konnte er nichts tun.
    Der Wagen hielt und hinten ging eine Tür auf. Gleich wäre er dran. Als er Noam angerufen und sich freiwillig in ihre Hände begeben hatte, hatte er sich darauf gefasst gemacht, dass es nicht wie geplant laufen könnte. Hatte er selbst herbeigeführt, was sich abgespielt hatte?
    Die Wurzel allen Übels war, dass er sich von Noams Angebot, bei Faro zu arbeiten, hatte verführen lassen. Er hätte klüger, stärker sein müssen, durchschauen müssen, dass sie keinen Fahrer suchten. Als er zugesagt hatte, war sein Abstieg schon nicht mehr aufzuhalten gewesen. Ein wenig Glück hätte ihm nicht geschadet. Hätte der Vater der vergewaltigten Frau nicht vor ihrem Haus gewacht, wäre ihm ein Großteil der Schwierigkeiten erspart geblieben. Vielleicht war es nicht nur mangelndes Glück, zufälliges Schicksal, sondern seine Strafe für das, was er getan hatte.
    Er hörte Meschulam aus dem Wagen steigen. Sein Herz schlug wie wild. Er musste jetzt stark sein.
    Meschulam donnerte an seine Fensterscheibe. Ein Beben ging durch seinen Körper. Ihn bloß nicht ansehen, redete er auf sich ein, nicht den Finger sehen, der ihm bedeuten würde, auszusteigen. Und womöglich die Pistole, aus der gleich die Kugel käme.
    »Willst du auch?«, fragte Meschulam.
    Erstaunt sah er ihn an. Was sollte das heißen? Seit wann legte Meschulam Wert darauf, was er wollte?
    Ohne weiter darüber nachzudenken, schüttelte er langsam den Kopf.
    Meschulam stand reglos da und sah ihn lange an.
    »Los, komm, Meschulam, nun mach schon, wir haben nicht die ganze Nacht. Geh pinkeln und steig wieder ein«, sagte der Fahrer, und Meschulam entfernte sich vom Wagen.

57
    Galith Lavi kam aufgewühlt aus dem Gerichtsgebäude und begab sich auf schnellstem Weg in ihr Büro. Was war bloß in sie gefahren? Wieso war sie so aus der Haut gefahren? Schließlich war es nicht das erste Mal, dass Journalisten sie verfolgten, sobald sie aus dem Verhandlungsraum trat. Über die Jahre hatte sie sich sogar an das Gebrüll gewöhnt, das nicht nur einmal die Grenze des guten Geschmacks überschritten hatte. Obwohl es ihr persönlich unangenehm war, hatte sie gelernt, sich zusammenzureißen. Es gehörte nun einmal zu ihrem Beruf. Sowohl zu dem der Journalisten als auch zu ihrem.
    Dennoch war in ihr etwas zerbrochen, als Dori Engel sie nach dem Prozess, bei dem es um die Kiosk-Überfälle gegangen war, angesprochen hatte.
    Vielleicht weil das Urteil wieder zu mild ausgefallen war und sie sich über die Richter ärgerte, die Angst hatten, aufs Ganze zu gehen. Vielleicht weil seine Fragen zu Ziv Nevo einen wunden Punkt getroffen hatten oder vielleicht war es einfach die Art und Weise gewesen, wie er auf sie zugekommen war, ihr den Weg versperrt hatte, ihr in arrogantem, prahlerischem Ton mitgeteilt hatte, dass er der Chefredakteur der Lokalzeitung höchstpersönlich sei, wie er ihr zu nahe gekommen war, als hätte er das Recht dazu, als müsste sie gehorsam seine Fragen beantworten.
    * * *
    Vor Jahren hatte sie sich bei einem ihrer ersten Gerichtsprozesse, es war um Mord gegangen, dazu verleiten lassen, mit einem Journalisten über den Fall zu reden. Am nächsten Tag hatte sie nicht nur festgestellt, dass er sie ungenau zitiert hatte, weitaus schlimmer: Der Verteidiger des Angeklagten hatte ihre Äußerungen blitzschnell ausgenutzt, um bei den Richtern eine Beschwerde einzureichen. Die Staatsanwaltschaft führe gegen seinen Mandanten ein Schnellverfahren. Damals hatte sie sich geschworen, nie wieder mit Journalisten zu reden. Einige Kollegen nutzten die Gelegenheiten, um eine bestimmte Nachricht in Umlauf zu bringen, eine bestimmte Atmosphäre in der Öffentlichkeit zu erzeugen, mit den Verleumdungen vonseiten der Verteidiger und Angeklagten fertigzuwerden und auch – vielleicht hauptsächlich – um sich einen Namen zu machen. Doch seit diesem Vorfall hatte sie sich nie wieder dazu

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