Tag der Vergeltung
Israel nicht lebend erreichen. Er musste seinen Fehler um jeden Preis ausmerzen, auch wenn das hieße, erneut von Faros Anordnungen abzuweichen. Es wäre das letzte Mal, das schwor er sich. Daraus hatte er gelernt. Ab morgen früh wäre er wieder der gehorsame Untertan, wie es von ihm verlangt wurde. Der Fehler jener Nacht und sämtliche Dinge, die er vor Faro verheimlicht hatte, würden mit Nevo begraben.
Zunächst hatte er ihn einfach in der Nähe irgendeines Dorfes absetzen und ihn den Palästinensern zum Lynchen überlassen wollen. Und wenn er dennoch überlebte? Dann würde Nevo nach Israel zurückkehren und Meschulam würde immer in Gefahr schweben.
Nein, am besten würde er mit ihm in eine einsame Seitenstraße fahren, ihm befehlen auszusteigen und ihm eine Kugel in den Kopf jagen. Er würde ihn ziemlich tief im Sand verscharren müssen. Es fehlte ihm gerade noch, dass irgendein stinkender Hirte ihn fand und es zu irgendwelchen Ermittlungen kam. Zu Faro würde er sagen, dass er ihn nach Tel Aviv gebracht habe, wohin er dann gegangen sei, wisse er nicht.
Er stand vom Bett auf und ging in den Nebenraum, wo Nevo lag. Sein Gesicht war von den Schlägen, die er ihm gestern versetzt hatte, gezeichnet. Noch ein Grund, ihn auszuschalten. Wenn er so darüber nachdachte, hielt er es doch für unklug, ihn zu erschießen, das Risiko war zu hoch, dass es jemand mitbekam. In dem Zustand, in dem Nevo war, konnte er ihn einfach zusammenschlagen und ihn dann vergraben.
Er ging zurück in sein Zimmer, legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Die Magenschmerzen, die ihn seit gestern traktierten, ließen nicht nach. Er musste zur Ruhe kommen. In anderthalb Stunden würde es dunkel und er könnte sich auf den Weg machen. Bald wäre alles vorbei und er könnte ein neues Kapitel beginnen.
* * *
Yaki Klein stand über ihm, als er die Augen aufschlug.
»Komm, Meschulam, wir müssen los.«
Er sah zur Seite. Draußen war es schon finster. Hatte er verschlafen? Die Gelegenheit verpasst? Schnell sprang er vom Bett auf und stellte sich Klein gegenüber.
»Alles in Ordnung? Ist was passiert?«, fragte er, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, dass er sich überrumpelt fühlte.
»Faro will, dass du jetzt gleich zu ihm nach Ra’anana kommst.«
»Und was machst du hier?« Er verstand nicht, was los war.
»Hab ich doch gesagt: Faro will, dass du nach Ra’anana fährst.«
Er sah unschlüssig zu der Tür, hinter der Nevo lag. Klein durfte unter keinen Umständen zu Nevo gehen. Wenn Faro ihn in Ra’anana wollte, wieso hatte er dann nicht angerufen? Warum schickte er einen Boten?
»Kein Problem«, kam er nach kurzer Überlegung zu sich, »ich muss unterwegs noch das Paket loswerden, dann komme ich.« Er deutete mit dem Kopf auf die verschlossene Tür.
»Du sollst Nevo mitbringen«, sagte Klein.
»Was? Wozu?« Das war schlecht, ziemlich schlecht.
Klein zuckte mit den Schultern.
Was war hier los? Wieso war Klein hierhergekommen? Warum wollte Faro Nevo sehen? Hatte er irgendetwas herausgefunden? Nein, das konnte nicht sein. Nevo war die ganze Zeit hier gewesen. Hatte mit niemandem gesprochen.
»Fahr zu Faro, sag ihm, dass ich gleich da bin«, probierte er es. Dass Klein hier aufgetaucht war, komplizierte seinen Plan unnötig, doch er ließ sich noch umsetzen. Er würde Nevo unterwegs irgendwie loswerden.
»Nein«, erwiderte Klein unbeirrt, »Faro hat gesagt, ich soll euch beide holen. Er will euch in einer Stunde in seinem Büro sehen.«
56
Ziv Nevo merkte, dass gleich etwas passieren würde, ohne eine Ahnung zu haben, was ihn erwartete. Meschulam holte ihn aus dem kleinen Raum, in den er gesperrt worden war, und zerrte ihn am T-Shirt in das Fahrzeug, das draußen bereitstand und in dem ein Mann saß, den er noch nie gesehen hatte.
Sie rasten über die marode Straße, nahmen sämtliche Schlaglöcher mit. Jedes Mal fuhr ein stechender Schmerz durch seine Rippen. Der neue Mann saß am Steuer und Meschulam hinten, wie damals, als sie ihn nach der Entlassung aus der U-Haft entführt hatten. Keiner sagte einen Ton. Sie kamen durch eine verlassene, finstere Gegend. Würden sie ihn hier umlegen, bekäme es keiner mit.
In den Stunden, in denen er in dem Raum eingeschlossen war, hatte er hin und her überlegt, ob er seine einzige Karte ausspielen solle – das Schreiben, das er Merav anvertraut hatte. Er würde ihnen sagen, dass er es bei einem Rechtsanwalt deponiert habe, ohne einen Namen zu nennen. Doch je länger er
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