Tag der Vergeltung
den verdreckten Beton.
8
Eli Nachum saß in seinem Büro und sah auf den Bildschirm, der übertrug, was die versteckten Videokameras im Vernehmungsraum aufzeichneten. Ziv Nevo ging unruhig auf und ab und fuhr sich alle halbe Minute mit den Fingern durchs Haar. In Sekundenabständen warf Nevo einen Blick zur Tür, vielleicht käme endlich einer herein. Nachum beschloss, ihn noch hinzuhalten. Es gab Vernehmungsbeamte, die die Verdächtigen mit Fragen bombardierten, den Schock der Festnahme ausnutzten, um ihnen ein Geständnis abzuringen. Nicht dass er diese Methode ablehnte, doch er ging anders vor. Er ließ sie eine Weile im eigenen Saft schmoren. Waren sie mit sich allein, wurde ihnen angst und bange. Sie malten sich schreckliche Szenarien aus. Hatten sie wie Ziv Nevo keine Erfahrung mit Vernehmungen, packte sie nicht zuletzt deswegen das Grauen, weil sie damit rechneten, geschlagen zu werden.
Er hatte die Anweisung gegeben, ihn in einen fensterlosen Raum zu führen. Darin standen nur ein Tisch und zwei Stühle. Nicht ein Hauch frischer Luft. Plus ausgestellter Klimaanlage. Heiß sollte ihm werden, damit er ordentlich ins Schwitzen käme. Am Ende würde er nicht mehr wissen, ob sein Schweiß und sein Gestank von der Hitze oder der Angst kamen. Exakt zu dem Zeitpunkt würde er in den Ring treten. Dann wäre Nevo schon weichgekocht und würde singen.
Zweifellos hatte der Vater des Mädchens gute Absichten. Er bildete sich ein, für die Untersuchung, für seine Tochter das Richtige getan zu haben. Als Vater konnte er sich in ihn hineinversetzen. Stieße so etwas seiner Tochter zu, Gott behüte, er würde alle Hebel in Bewegung setzen, damit dem Schuldigen der Prozess gemacht würde, womöglich noch einige Hebel mehr als Jaron Regev. Gleichzeitig lag für Eli Nachum auf der Hand, dass ihm Jaron Regev, bei allen guten Absichten, die Ermittlungen ruiniert hatte. Es gab Regeln, die die Gerichte für die Durchführung einer Gegenüberstellung festgelegt hatten. Diese Regeln waren vergleichbar mit einem Kuchenrezept. Hielt man sich daran, gelang der Kuchen, der Richter würde die Wiedererkennung des Täters billigen, und es käme zur Verurteilung. Wenn nicht – fiel der Kuchen in sich zusammen.
Für eine ordnungsgemäße Gegenüberstellung musste die Polizei sieben Statisten organisieren, die in ihrem äußeren Erscheinungsbild dem Verdächtigen ähnelten. Der Verdächtige hatte das Recht, seinen Platz innerhalb der Reihe zu bestimmen, und die Polizei hatte seine Wahl zu respektieren. Darüber hinaus stand ihm zu, dass sein Anwalt anwesend war. Dem Zeugen vor der Gegenüberstellung Fotos von dem Verdächtigen zu zeigen, war unzulässig, man durfte kaum ein Wort über ihn verlieren. Das Verfahren musste auf Video aufgezeichnet werden. Der Verdächtige und sein Rechtsanwalt waren dazu berechtigt, dem Zeugen Fragen zu stellen. Und das gesamte Verfahren musste detailliert protokolliert werden.
Jaron Regev hatte von alldem natürlich keine Ahnung. Auch ohne Rücksprache mit den Anwälten der Staatsanwaltschaft wusste Eli, dass sich nie und nimmer ein Richter davon überzeugen ließe, dass die Identifizierung des Täters durch das Opfer »spontan« erfolgt sei, wie dies genannt wurde. Zweifellos hatte der Vater hier die Fäden in die Hand genommen. Er hatte auf den Mann gezeigt, hatte sie ausdrücklich gefragt, ob er es sei – hatte ihr gesagt, dass er ihn in der Nacht vor ihrem Haus gesehen habe. Für jeden Verteidiger, dem eine solche Geschichte in die Hände fiele, wäre es ein gefundenes Fressen.
Während seine Polizisten den Verdächtigen festnahmen, hatte er sich mit einigen Gerichtsurteilen beschäftigt, die auf Gegenüberstellungen Bezug nahmen. »Äußerst zweifelhaft«, »sehr geringe Beweiskraft« waren die Ausdrücke, mit denen Richter klarstellten, welche Bedeutung einer Identifizierung wie der im vorliegenden Fall zukam. Wesentlich schlimmer war noch, dass es in dieser Phase unmöglich war, Unsauberkeiten zu vertuschen. Es ergab gar keinen Sinn, eine Gegenüberstellung zu arrangieren. Selbst wenn Adi Regev ein zweites Mal auf Ziv Nevo zeigen würde, in einer vorschriftsmäßigen Gegenüberstellung, und seien auch hundert Statisten und fünfzig von Nevo beauftragte Verteidiger zugegen, so wäre das Prozedere nicht relevant. Der Kuchen fiele in sich zusammen.
Er war deutlich verärgert darüber, wie die Dinge lagen. Seit jeher war er der Ansicht, dass es die Vielzahl der von Juristen, Richtern und Gutmenschen
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