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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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festzunehmen. Was sollte er tun? Wieder und wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Der Gedanke, dass er hinter Gitter käme, befiel ihn mit blankem Entsetzen. Was sollte er tun?
    Er saß in der Falle. Aber vielleicht war es noch nicht zu spät. Bis hoch zu ihm würden sie ein paar Minuten brauchen. Ohne Fahrstuhl. In der Zwischenzeit konnte er übers Dach entkommen.
    Er hastete zur Kommode an der Wohnungstür, das klapprige Teil war ein Relikt der Vormieter. Der Schlüssel fürs Dach musste in der Schublade sein. Er durchwühlte alles, stieß auf seinen Ehering, zögerte. Seine Hände zitterten. Selbst als er damals realisiert hatte, dass es vorbei und die Scheidung nicht mehr zu verhindern war, hatte er den Ring nicht vom Finger ziehen können. Erst vor einem Monat hatte er, nachdem sie sich wieder einmal über Geld und Sorgerecht gestritten hatten, den Ring völlig außer sich in die Schublade gepfeffert.
    Doch jetzt war der falsche Zeitpunkt, irgendwelchen Gedanken nachzuhängen. Er musste unbedingt diesen Schlüssel auftreiben. Hier war er nicht. Wo hatte er ihn bloß hingelegt?
    Er hörte, wie Puyol, der Hund der Baschans in der ersten Etage, aufgebracht bellte. In zwei Minuten würden sie hier sein. Er öffnete die Wohnungstür und hörte sie näher kommen. Schnellstens musste er nach oben. Wenn sie ihn in der Wohnung nicht anträfen, würden sie wieder verschwinden, so hoffte er inständig.
    Sachte schloss er die Tür und lief, den Rücken an die Wand gedrückt und so leise es ging, die Stufen hoch. Da rückte die Schirmmütze eines Polizisten in sein Blickfeld. Nur ein Stockwerk trennte sie noch. Mehr nicht. Er presste sich an die Wand, wollte am liebsten darin verschwinden.
    »Herr Nevo?«, hörte er eine Stimme fragen, sie klopften schon an seine Tür.
    Er erstarrte, hielt den Atem an.
    »Nevo, öffnen Sie die Tür, Polizei!«, rief eine andere Stimme, jetzt hämmerten sie an seine Tür.
    Er rührte sich nicht. Zwei Stockwerke weiter unten bellte immer noch Puyol.
    »Sigi hatte ihn vor fünf Minuten in der Leitung. Der Scheißkerl ist da drin«, hörte er einen von ihnen sagen. »Nevo, öffnen Sie die Tür oder wir treten sie ein!«
    Eine halbe Treppe weiter oben ging eine Tür auf. Ihm wurde schlecht. Ein Nachbar, ein Mann in den Sechzigern, steckte den Kopf heraus.
    Schweigend sahen sie sich an. Er kannte nicht einmal seinen Namen. Wusste nur, dass er dort mit seiner Frau wohnte. Hin und wieder waren sie sich im Treppenhaus begegnet. Ohne dass ihnen ein Gruß über die Lippen gekommen war.
    »Was meinst du, sollen wir Nachum anrufen?«, sagte der eine Polizist. Der Nachbar trat einen Schritt nach vorn, stand jetzt im Hausflur. Ziv lächelte ihn unbeholfen an.
    »Herr Nevo, letzte Verwarnung. Öffnen Sie die Tür. Polizei!«, rief der Polizist und hämmerte erneut gegen die Tür.
    Der Nachbar blickte ihn verwundert an. Ziv legte die Hände aneinander, flehte ihn an. Verrat mich nicht, sprachen seine Augen.
    »Er ist hier oben!«, rief urplötzlich der Nachbar, verschwand wieder in seiner Wohnung und schloss die Tür.
    Er hörte sie die Treppe heraufrennen.
    Obwohl er wusste, dass alles verloren war, er ihnen nicht entrinnen konnte, versuchte er so schnell wie möglich nach oben zu gelangen. Er war benebelt vom Bier, seine Beine waren schwer wie Blei.
    Er erreichte die Dachetage, und zu seiner großen Verblüffung stand die Tür offen. Wie hatte er so viel Zeit mit der Schlüsselsuche vergeuden können? Warum ging bei ihm immer alles schief? Gab es nicht mal eine Ausnahme?
    Er sah sich um. Sollte er aufs Dach des Nachbarhauses springen? Nein, das kam nicht infrage. Sie wären hier, bevor er drüben in Sicherheit wäre. Und würden schießen.
    »Keine Bewegung!«, rief jemand hinter ihm.
    Langsam drehte er sich um. Der Polizist hatte seine Pistole auf ihn gerichtet. Er hob die Hände.
    Jetzt erschien auch der zweite Polizist auf dem Dach, er schnaufte vom Treppensteigen und kam dann eilig auf ihn zu. »Hände hoch!«, schrie er, dabei hatte er sie schon oben.
    Der andere Polizist trat hinter ihn, drehte ihm die Arme auf den Rücken und legte ihm Handschellen an.
    »Auf den Boden«, befahl er, während er ihn an den gefesselten Armen festhielt.
    Ziv tat, wie ihm geheißen. Den Fuß auf seinem Rücken drückte der Polizist ihn auf den schmutzigen, kalten Boden, als wäre er ein Zigarettenstummel. Er wehrte sich nicht. Blieb einfach unter dem schweren Fuß des Polizisten liegen, seine Tränen benetzten

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