Tag der Vergeltung
ein Ende. Ich verspreche es dir, dann hat es ein Ende …«, er legte seine Hand auf ihre.
Sie betrachtete seine große Hand, die ihre eigene zitternde Hand bedeckte. Sie wollte so sehr, dass es ein Ende hätte, dass sie wieder schlafen und diejenige sein könnte, die sie einst – vorher – gewesen war. Sie atmete tief durch und schloss die Augen. Einmal kurz draufschauen. Das war alles.
Ihr Vater wechselte zum nächsten Foto. Jetzt war sein Gesicht deutlich zu sehen. War er der Mann, der sie vergewaltigt hatte? In jener Nacht hatte er ein Basecap und eine Sonnenbrille getragen. Das Foto war am helllichten Tag aufgenommen worden, sie konnte Haar, Gesicht und Augen sehen.
»Er hat sich gestern hier am Haus herumgetrieben«, hörte sie ihren Vater sagen, »er war drauf und dran, das nächste Mädchen zu vergewaltigen, da bin ich mir sicher.«
Sie musterte den Mann. Alles auf diesem Bild war zu hell. Anders als in jener Nacht.
»Ich werde zur Polizei gehen und dafür sorgen, dass er lebenslänglich bekommt. Er wird kein Tageslicht mehr sehen, dieses verfluchte Schwein …«
Sie gab keinen Laut von sich, blickte lediglich auf ein weiteres Bild, das der Vater ihr präsentierte. Was Körperbau und Gesicht betraf, ähnelte der Mann auf dem Foto dem Phantombild des Täters, das für die Fahndung erstellt worden war.
»Er war hier unten?« Ihr wurde bewusst, was ihr Vater vor einigen Minuten erwähnt hatte.
»Er war hier, auf der Straße. Unten am Haus. Wer weiß, was er geplant hatte, was passiert wäre …«
Erneut legte sie die Kamera auf den Tisch. Der Gedanke, dass sich der Täter hier herumtrieb, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Und wenn sie ihm wieder über den Weg liefe?
»Dieser Mann ist eine üble Kreatur, der schreckt vor nichts zurück. Wenn ich nicht zufällig hier vorbeigekommen wäre, ihn nicht gestört hätte … Nun gut, ich will gar nicht daran denken, was er hätte tun können …« Der Vater redete sich in Rage, fest entschlossen, sie zu überzeugen.
Wieder und wieder kreisten die Gedanken in ihrem Kopf: Wartete er ein zweites Mal auf sie? Wie in jener Nacht? Im Nachhinein dachte sie nicht nur einmal darüber nach, was passiert wäre, wenn sie die Flucht ergriffen hätte, als noch Zeit dazu gewesen war, wenn sie sich widersetzt, sich geweigert hätte, ihn anzuflehen. Sie hatte es ihm ermöglicht, alles mit ihr zu tun, was er wollte, mit ihr wie mit einer Marionette zu spielen. Womöglich wollte er, dass es so weiterginge. So wie er in jener Nacht in ihr Ohr geflüstert hatte: »Los, weiter so!«
»Adi, mein Schatz, du kannst das. Du musst es nur sagen, und der ganze Albtraum ist vorbei, dann wirst du dich besser fühlen …«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie war völlig durcheinander und unglaublich müde. Vor allem müde. Vielleicht war er es. Vielleicht auch nicht.
»Ich weiß es nicht … ich weiß es nicht …«, murmelte sie.
»Er ist es. Genau wie du ihn der Polizei beschrieben hast. Sieh ihn dir an. Hier sind noch mehr Fotos, so viele du willst«, er ließ sie nicht in Ruhe, zeigte ihr das nächste Bild. Ihre Augen wanderten zu den Fingern des Mannes, seinen Händen, die sie gewürgt, ihr das Messer an die Kehle gepresst hatten.
»Sag es, Adinka, sag es mir …«
Sie grub ihr Gesicht in die Hände und begann zu schluchzen. Es sollte aufhören, sie wollte ihrem Vater die Antwort geben, doch sie konnte nicht.
»Mein Schatz … sprich mit mir … Ich bin für dich da …«
Sie sah ihn an. »Ja, das ist er, das ist der Mann, der mich vergewaltigt hat.«
7
Es war 1 : 03 Uhr in der Nacht, als das Telefon klingelte. Ziv Nevo lag trotzdem noch wach auf seiner Matratze und wartete. In siebenundzwanzig Minuten würde er das Haus verlassen und vollenden, was ihm gestern nicht gelungen war.
Das Klingeln ließ ihn hochschrecken. Ein Anruf um diese Uhrzeit brachte keine guten Neuigkeiten.
»Hallo, wer ist da?« Eine unbekannte weibliche Stimme drang aus dem Hörer an sein Ohr. Dafür hatte er jetzt keine Kraft. »Falsche Nummer«, herrschte er sie an und legte auf.
Er streckte sich wieder auf der Matratze aus. Seine Laune war düster. Er hatte das Sixpack niedergemacht, das er sich vor einigen Stunden am Kiosk um die Ecke geholt hatte. Die Dinge liefen nicht gut. Das war schon lange so. Zu lange. Alkohol war nicht die Lösung, das wusste er. Doch er brauchte etwas, das ihm Mut einflöste.
Wieder kam ihm, wohl zum hundertsten Mal, dieser Mann in den
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