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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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Sinn, der ihm gestern gefolgt war. Sein Gesicht wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf. Vor allem nicht sein durchdringender Blick, als er ihn entdeckt hatte – er schien gewusst zu haben, weshalb er dort gewesen war. Zum Glück hatte er ihn abhängen können. Gar nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er ihn auf frischer Tat ertappt hätte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Heute Nacht würde er vorsichtiger sein. Er würde auf Nummer sicher gehen, dass kein Mensch auf der Straße war. Niemand in einem Auto saß. Heute Nacht musste es klappen. Angst und Aufregung krochen seine Magenwände hoch.
    Wieder klingelte das Telefon.
    »Spreche ich mit Ziv Nevo?«, fragte ihn die Stimme von vorhin.
    Damit hatte er nicht gerechnet.
    »Wer ist dort?«
    Sie blieb ihm die Antwort schuldig. Und legte auf.
    Er wollte den Anruf zurückverfolgen, doch die Nummer war unterdrückt gewesen. Das gefiel ihm gar nicht. Gestern mitten in der Nacht war dieser Mann hinter ihm her gewesen und nun das.
    Er griff sich vom Tisch die Zigarettenschachtel samt Feuerzeug und ging zum Rauchen auf den Balkon. Noch so eine schlechte Angewohnheit, zu der er im letzten Monat zurückgekehrt war; zumindest achtete er darauf, nicht in der Wohnung zu rauchen. Gili zuliebe.
    Dieses Wochenende hätte er bei ihm sein sollen. Als er ihn am Morgen bei Merav abholen wollte, hatte er feststellen müssen, dass sie den Jungen zu ihren Eltern gebracht hatte.
    »Du wirst ihn erst zu Gesicht bekommen, wenn du Unterhalt zahlst!«, schrie sie ihn an, als er sie auf dem Handy anrief. Er hatte versucht, ruhig, vernünftig mit ihr zu reden. Es sei ja nicht so, dass er nicht zahlen wolle, hatte er zu einer Erklärung angesetzt, nur wisse er nun mal nicht wovon. Sie wollte es nicht hören. Inzwischen waren anderthalb Jahre vergangen, seit er seine Ehe zerstört, seine Kündigung herbeigeführt und sich in die Lage gebracht hatte, in der er sich nun befand, und obwohl er sich immer wieder entschuldigt hatte, war Merav nicht bereit, ihm zu verzeihen.
    Verzweifelt starrte er das Foto auf dem Handydisplay an: Gili lachte überglücklich im Schwimmbecken. Er zermarterte sich das Hirn darüber, was er unternehmen könnte. Unter Umständen war es besser so, dass Gili nicht hier war. Bei ihr war er besser aufgehoben, dachte er, während sein Blick durch die schäbige Wohnung schweifte, die er im Süden der Stadt gemietet hatte. »Da bekommen Sie etwas Authentisches«, hatte der verschwitzte, fette Makler versucht, ihn zu bequatschen, und auf die alten Fliesen gedeutet, die den Boden schmücken sollten und vielleicht vor vielen Jahren mal etwas hergemacht hatten. Ihr Blau war längst verblasst und unter einer Sandschicht begraben. Als sie noch verheiratet gewesen waren, hatten Merav und er bei einem Spaziergang hier in der Gegend Möbel für ihre Wohnung gesucht und waren von dem Viertel, das Alt und Neu vereinte, hin und weg gewesen: Die alten Bewohner und die Studenten wohnten Tür an Tür, der eine hörte orientalische Musik, der andere Techno, in der Nachbarschaft einer Bar fand man einen Gemüse- oder Gewürzstand. Heute fand er die Gegend in erster Linie abstoßend. Er hasste diese würfelförmigen, gelb angestrichenen Häuser, die beißenden Gerüche der Polsterei-Werkstätten, die neuen Bewohner, die allesamt coole Kiffer sein wollten.
    Staubwolken wedelten ungehindert durch die Luft, und mitten im Wohnzimmer standen die IKEA-Kartons, welche die wenigen Möbel enthielten, die er sich leisten konnte. Obwohl er den ganzen Tag zu Hause war und herumlungerte, hatte er es nicht auf die Reihe bekommen, sie aufzubauen. Er hauste auf einer Matratze auf dem Boden. Daher war es vielleicht besser so. Er liebte den Jungen, er hätte es nie für möglich gehalten, dass man einen Menschen in einem solchen Maße lieben konnte, doch in seiner Situation – was hatte er ihm zu bieten? Sein Leben war schon seit geraumer Zeit ein einziger Schutthaufen, und er rutschte immer weiter ab.
    Er blies den Zigarettenrauch in die Nachtluft und zählte die Minuten.
    Gleich würde er vollenden, was er begonnen hatte. Vielleicht fände er dann ein wenig inneren Frieden. Reifen quietschten – er schaute nach unten. Neben der Haustür hielt ein Einsatzwagen, aus dem zwei Polizisten sprangen. Da begriff er. Sie hatten vorher angerufen. Wollten ihn schnappen. Und sich vergewissern, dass er zu Hause war.
    Sein Herz klopfte wild. Was jetzt? Der Mann von gestern? Er hatte ihn gesehen. Sie kamen, um ihn

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