Tag der Vergeltung
spritzte.
»Ich habe nichts gemacht …«, entgegnete er schließlich und wich Nachums Blick aus, starrte auf das Wasser, das sich über den Tisch ergoss.
»Nur weil Sie jemand gestört hat. Wäre er nicht gewesen, wer weiß, was dann passiert wäre.«
Er verlegte sich wieder aufs Schweigen. Jeder Satz von Nachum war ein Nagel zu seinem Sarg. Sie wussten alles. Er hatte sich eingeredet, dass er den Mann gestern abgehängt hatte, dabei war der ihm offenbar weiter gefolgt. Jetzt begriff er, dass die Sache geplant gewesen war. Der Mann hatte ihn abgepasst. Wenn es so war, hatten sie sicher auch gefunden, was er hinterlassen hatte, samt seiner Fingerabdrücke.
Ob sie von seiner Verbindung zu Meschulam wussten?
Verpfeifen würde er ihn nicht. Möglich, dass er wegen dem Mist, den er gebaut hatte, viele Jahre sitzen müsste, doch zumindest bliebe er am Leben. Zumindest würde er seinen Sohn heranwachsen sehen. Immerhin. Gili war der einzige Lichtstrahl in seinem Leben, und Gili brauchte einen Vater. Auch wenn der im Gefängnis saß.
Unter Umständen hatten sie Meschulam schon, und was hier ablief, war nur ein abgekartetes Spiel? Nervös trank er seinen Becher aus. Wenn die Dinge so lagen, bestand kein Grund dazu, nicht egoistisch zu sein. So funktionierte es nun mal: Ein kleiner Fisch lieferte einen großen Fisch, und der lieferte einen Wal. Er hatte gegen das Gesetz verstoßen, das stimmte, doch das war nichts gegen die Dinge, die Meschulam auf dem Kerbholz hatte.
»Das Spiel ist aus, Nevo. Jemand hat Sie gesehen. Er hat alles gesehen. Wir haben das Puzzle zusammengesetzt und die Sache durchschaut. Also Schluss mit den Spielchen. Das können Sie sich wirklich nicht erlauben.«
Wieder und wieder fuhr er sich durchs Haar, rieb sich den Kopf, als wäre er Aladins Wunderlampe. Gili war vernarrt in diesen Zeichentrickfilm. Doch Dschinn, der Geist, ließ sich nicht blicken. Nur hässliche Wirklichkeit. Und in dieser hatte er nicht genügend Informationen, um die richtige Entscheidung zu treffen. Er brauchte mehr Zeit. Musste mehr in Erfahrung bringen. Würde er jetzt reden, gäbe es kein Zurück.
»Ich möchte einen Anwalt …«, sagte er auf einmal. Aus dem Fernsehen wusste er, dass ihm einer zustand. Er musste unbedingt mit jemandem reden, sich beraten. Er brauchte jemanden mit Erfahrung, der ihm sagen würde, was er tun sollte.
Nachum lehnte sich nach hinten und grinste höhnisch. »Kein Problem, Sportsfreund. Du bekommst deinen Anwalt. Aber wie soll dir ein Anwalt helfen, hm? Was soll der denn machen? Wir haben hieb- und stichfeste Beweise. Dir kann der beste Anwalt der Welt nicht helfen. Wenn du weiter gegen mich ankämpfst, fährst du den Karren noch tiefer in den Dreck. Das wird dich so einiges kosten und dabei kommt nichts herum …«
Was Nachum da sagte, jagte ihm Angst ein, brachte ihn aus der Fassung, vor allem diese Selbstsicherheit, mit der er auftrat. Was sollte er jetzt machen? Er schwitzte Blut und Wasser. Alles nur, weil er schwach war, keiner Versuchung widerstehen konnte. Jetzt musste er dafür büßen. Ein Fehler – viele Jahre Knast.
»Nevo, heben Sie den Kopf und schauen Sie mich an«, hörte er Nachum.
Er hob die Augen, verschüchtert, wollte sich diesem Blick nicht noch einmal aussetzen. Für einen Moment meinte er zu träumen, doch wenn ihn nicht alles täuschte, zeichnete sich in Nachums Blick eine Veränderung, ein Anflug von Sanftmut ab.
»Nevo, lassen Sie mich Ihnen helfen«.
10
Alles in allem war Kriminalkommissar Eli Nachum damit zufrieden, wie die Vernehmung bisher verlaufen war. Phase eins hatte ihn sogar erheblich weniger Zeit gekostet als erwartet. Nun kam Phase zwei, die entscheidende. Würde er es klug anstellen, könnte er es für sich beanspruchen, die Vergewaltigung von Adi Regev aufgeklärt zu haben.
Strategisch verlief eine Vernehmung wie ein Schachspiel. Es kam zu einem intellektuellen Kräftemessen zwischen den beiden Gegnern, und der Weg zum Sieg teilte sich in zwei Phasen – zunächst »Schach«, der König war bedroht, dann »Matt«, ihm blieb kein Ausweg.
Nevo verstand sehr wohl, dass er ertappt worden war, seine Verhaftung nicht auf einem Irrtum beruhte, den er leicht aufklären konnte. Wie die meisten Täter, die eine Vergewaltigung begingen, war er nicht dumm. Daher igelte er sich jetzt ein, war angespannt, trank Wasser ohne Ende, fuhr durch sein Haar – eine Geste, die Nachum schon oft gesehen hatte. Wieso hatte er noch Haare auf dem Kopf, wenn er
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