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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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dauernd daran zerrte? Nachum glitt mit der Hand über seinen kahlen Schädel.
    Die Frage war, wie er sich bei der Vernehmung weiter vorantasten sollte. Aus Erfahrung wusste er, dass beinahe aus jedem Tatverdächtigen ein Geständnis herauszuholen war. Im Laufe der Jahre hatte er das wieder und wieder erlebt. Menschen waren schwach und dünnhäutig. Druck an den richtigen Stellen, und ihr Widerstand brach. Bei einigen war mehr nötig, bei anderen weniger, doch das Ergebnis war am Ende das gleiche.
    Wie andere Ermittler konnte er mit Nevo Stunden über Stunden hier sitzen, sein Gehirn mit unzähligen Fragen zermartern, ihm drohen, ihn anschreien, das Personal bei der Vernehmung wechseln, das ihn mit denselben Fragen malträtierte, ihm keine Minute Ruhe gönnte, ihn in den Wahnsinn trieb und zermürbte bis zum Geständnis.
    In diesem Fall sagte ihm jedoch sein Instinkt, dass er zu einer anderen Taktik greifen müsse. Es galt nicht nur zu verhindern, dass die Rechtsverdreher ein solches Geständnis durch den Fleischwolf jagen würden, nein, er hatte im Gespür, dass Nevo bald einknicken würde, er war drauf und dran, ein Geständnis abzulegen, von dem es kein Zurück mehr gäbe. Doch würde er ihn jetzt nötigen oder aufreiben, würde Nevo sich verschließen. Daher mimte er lieber den ›guten Polizisten‹, der Verständnis hatte und sich in seine Lage versetzte – die Honigfalle.
    * * *
    »Lassen Sie mich Ihnen helfen«, sagte er erneut, um sicherzugehen, dass es zu ihm durchdrang.
    Nevo sah ihn verblüfft an. Nachum wusste, gleich würde dieser Blick in Misstrauen umschlagen, daher musste er sich beeilen, seine Hausaufgaben verwerten, die er gemacht hatte, bevor er in diesen Raum gekommen war.
    »Das glauben Sie mir bestimmt nicht, aber ich meine es ernst«, fuhr er in ruhigem, festem Ton fort. »Ich möchte Ihnen helfen. Ich habe vorher ein wenig recherchiert, wie wir es bei jedem handhaben, den wir vernehmen. Sie waren Offizier beim 605.   Bataillon. Bei den Pionieren. Das stimmt doch, oder?«
    Nevo nickte. Ein gutes Zeichen, dachte Nachum und goss neues Wasser in seinen Becher. Der Druck auf die Blase war eine seiner alten Verhörmethoden.
    »Mein großer Bruder war auch in dem Bataillon. Er war Offizier und ist im ersten Libanonkrieg gefallen. Fünf Tage nach Kriegsausbruch.«
    Nachum machte eine Pause, prüfte Nevos Gesichtsausdruck. Der Stress, den die Verhaftung bei ihm ausgelöst hatte, begann sich zu verflüchtigen. Das Märchen vom gefallenen Bruder zeigte Wirkung. Jetzt musste er Nevo so weit bearbeiten, dass er ihm Glauben schenkte, ihre Rollenaufteilung vergaß und warum er überhaupt hier war.
    »Dass Sie im gleichen Bataillon gedient haben, hat mich tief gerührt«, fuhr er fort. »Ich weiß, welche Leute dafür rekrutiert werden und wer für die Offiziersklasse in Frage kommt. Daher weiß ich, Nevo, dass Sie grundsätzlich kein schlechter Mensch sind. So wie sich viele andere anständige Menschen in Schwierigkeiten verstricken, haben auch Sie etwas falsch gemacht.«
    Zum ersten Mal blickte Nevo ihm von sich aus in die Augen.
    Ja, er war auf dem richtigen Weg. Kriminalkommissar Eli Nachum atmete tief durch. Es war an der Zeit, den nächsten kleinen Schritt zu tun.
    »Sie haben etwas falsch gemacht, stimmt’s, Nevo?«, fragte er sanft.
    Nevo trank einen Schluck Wasser und schwieg.
    Er wartete, bis er getrunken hatte, und stellte die Frage aufs Neue.
    Diesmal nickte Nevo.
    »Ich habe in den Akten gelesen, dass Ihre Scheidung noch nicht lange zurückliegt«, wagte er sich, von seiner Reaktion ermutigt, weiter vor. »Es muss eine schwere Zeit für Sie gewesen sein. Ihre geschiedene Frau hat Sie in Schwierigkeiten gebracht, hat gegen Sie Anzeige wegen Körperverletzung erstattet, die Sie nie begangen haben. Ist sie wütend geworden, weil Sie was mit dem Mädchen von der Arbeit angefangen haben?«
    Nevo nickte wieder. »So in etwa«, sagte er.
    »Auch diese Frau hat Sie ziemlich reingeritten, hm? Sie machen sich ja keine Vorstellung, wie viele dieser Fälle mir unterkommen. Erst provozieren sie es, und wenn der Mann dann darauf eingeht, ihnen aber irgendetwas nicht in den Kram passt, schreien sie laut ›sexuelle Belästigung‹ und erstatten Anzeige. So war es doch, oder? Sagen Sie mir, wenn ich falsch liege.«
    »Sie liegen richtig …«, bestätigte Nevo und senkte den Blick.
    »Sehen Sie, genau das meine ich«, fuhr Eli Nachum fort. »Es ist doch ganz natürlich, dass ein Mann wie Sie, dem dieser

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