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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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hatte sich zu früh gefreut. Wie dem auch sei, über die Geschehnisse der letzten Nacht konnte er nicht reden. Er wollte nicht mit einer Kugel im Kopf enden.
    »Nevo, ich warte, ich bin ganz Ohr … Reden Sie, ich höre …« Nachum verschränkte die Arme und lehnte sich nach hinten.
    Was konnte er sagen? Wie sollte er diese Fragen beantworten? Eine Vergewaltigung? Dieser Nachum hatte nicht den leisesten Schimmer einer Ahnung, in was für eine Lage er sich manövriert hatte, wie tief er im Dreck saß.
    »Ich werde Ihnen etwas erklären, Nevo«, unterbrach Nachum sein Schweigen. »Wir haben hieb- und stichfeste Beweise. Was Sie bisher ausgesagt haben, Ihre Äußerungen über Adi Regev reichen völlig. Sie haben diese Frau als Opfer ausgesucht. Ich muss hier gar nicht mit Ihnen sitzen und reden. Ich kann nach Hause zu meiner Familie fahren. Mit meinem Sohn eine Fahrradtour machen, wie ich es ihm versprochen habe. Ich habe meine Arbeit erledigt. Ob Sie nun aufschreiben, was passiert ist, oder nicht, interessiert mich wirklich nicht im Geringsten. Aber ich habe, im Gegensatz zu Ihnen, keine Spielchen gespielt. Ich habe Ihnen meine Hilfe angeboten und das auch so gemeint. Es ist also an Ihnen, wenn Sie nicht mit zwanzig Jahren hinter Gittern wegkommen wollen. Also los, schreiben Sie über die Vergewaltigung, das Messer, über alles …«
    »Aber ich habe nichts getan …« Ziv hatte das Gefühl, dass das zu flehentlich klang, doch es gelang ihm nicht, die Sicherheit wiederzuerlangen, über die er noch vor wenigen Sekunden verfügt hatte.
    »Sie hören mir nicht zu, Junge. Ich schlage Ihnen hier den Deal Ihres Lebens vor. Packen Sie aus, sagen Sie mir, was passiert ist, und ich sorge dafür, dass man Ihnen entgegenkommt. An Ihrer Stelle würde ich mit beiden Händen zugreifen. Wenn nicht, ist das Ihre Sache. Ich werde Ihre Entscheidung respektieren. Ich werde aufstehen und gehen, und Sie sehen mich nie wieder. In dem Fall werden Sie im Knast verfaulen und diesen Moment, Ihre Dummheit verfluchen.«
    Ziv sah ihn schweigend an. Egal was er jetzt tun würde, es würde gegen ihn verwendet werden. Er saß in der Falle. Plötzlich spürte er, dass er dringend pinkeln musste.
    »Ich muss auf die Toilette«, sagte er.
    Nachum lachte. »So läuft das hier nicht. Sie gehen auf die Toilette, wenn ich es Ihnen sage. Daran sollten Sie sich gewöhnen. So werden Ihre nächsten zwanzig Jahre aussehen.«
    Wie schnell sein Ton umgeschlagen war, dachte Ziv. Und dieser Mann hatte ihm vor wenigen Minuten noch helfen wollen.
    »Ich gebe Ihnen genau zwei Minuten. Wenn Sie dann nicht anfangen zu schreiben, stehe ich auf und verschwinde«, sagte Nachum.
    Ziv rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Nachum trommelte mit den Fingern auf dem Tisch: tak, tak, tak. Er sah auf die Uhr. Ihm ging die Zeit aus. Nachum trommelte schneller. Tak tak, tak tak, tak tak.
    Nachums Handy klingelte. Er sah auf das Display und lächelte Ziv an.
    »Wissen Sie, wer das ist?«, fragte er ihn.
    Er schüttelte den Kopf. Er musste äußerst dringend pinkeln.
    »Das ist der Kriminalreporter vom Zweiten Fernsehen«, sagte Nachum. »Er ist über Ihre Festnahme informiert. Er will Name und Foto von uns. Soll ich sie ihm geben, was meinen Sie? Sollen wir Sie berühmt machen, damit das ganze Land erfährt, wer Sie sind? Ihre Familie? Damit Ihr Sohn Ihr Gesicht in den Nachrichten sehen wird?«
    Ziv stellte sich vor, wie Merav und Gili im Wohnzimmer saßen und die Nachrichten sahen. Was würde Merav denken? Würde sie es ihm zutrauen? Wie viel würde Gili verstehen, wenn er das Gesicht seines Vaters auf dem Bildschirm erblicken würde? Seit dem Tod seiner Eltern und vor allem seit der Trennung von Merav hatte er keine eigene Familie mehr. Mit Itai, seinem Bruder, der vier Jahre älter als er war, hatte er kaum noch Kontakt. Freunde hatte er auch nicht. Vor der Scheidung hatten sie nur gemeinsame Freunde gehabt, und nach der Scheidung hatten diese sich auf ihre Seite geschlagen. Der Gedanke an seine Eltern drückte ihm aufs Herz. Es verging kein Tag, an dem er nicht an sie dachte. Sie fehlten ihm vor allem in fröhlichen Momenten, wenn er daran dachte, was sie versäumten. Ausgerechnet in den schweren Zeiten hatte er gelernt, allein klarzukommen. Auch vor ihrem Tod hatte er es vermieden, sie in Dinge einzuweihen, die ihnen Kummer bereitet hätten. An dieser Verhaftung wären sie zugrunde gegangen.
    »Das ist doch der reine Wahnsinn …«, sagte er zu sich selbst oder zu

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