Tag der Vergeltung
Staat so einiges zu verdanken hat, in Rage gerät, wenn Frauen auf diese Weise mit ihm umspringen, ihm das Leben ruinieren. Diese beiden Frauen haben ihr Leben ruiniert, oder etwa nicht?«
Nevo zeigte keine Reaktion. Nachum nahm ihn mit seinem Blick in Beschlag. Für einen Moment kam es ihm so vor, als sei er ihm entglitten.
»Lassen wir das, nicht weiter wichtig. Hören Sie, ich will Ihnen helfen. Ich hatte im Laufe meiner Karriere mit einer Menge Abschaum zu tun. Ich habe ein Auge dafür, wer zu dieser Kategorie gehört und wer nicht – Sie tun es nicht. Das ist mir gleich aufgefallen. Davon abgesehen bringt Ihnen die Tatsache, dass Sie im Bataillon meines Bruders gedient haben, Pluspunkte. Es beweist mir, dass ich mich nicht geirrt habe und Sie ein guter Mensch sind.«
Nevo nahm erneut Blickkontakt mit ihm auf. Mit den letzten Sätzen wollte Nachum das Vertrauen wieder herstellen, das er beinahe verspielt hätte, als er die Exfrau und die sexuelle Belästigung der Kollegin erwähnte. Nicht auszuschließen, dass er noch Gefühle für die eine oder die andere empfand. Nicht auszuschließen, dass die Tat sich daraus ergeben hatte.
»Nevo, ich rede jetzt mal Klartext. Sie haben eine schwerwiegende Tat begangen. Was bedeutet: viele Jahre hinter Gittern. Aber wenn Sie hier kooperieren, wenn Sie mir genau erzählen, was passiert ist und warum, werde ich versuchen, Ihnen zu helfen. Ich bin schon lange dabei, ich habe hier was zu sagen – wenn ich einem helfen will, geht derjenige bei der Sache nicht leer aus. Wenn Sie kooperieren, lege ich bei der Staatsanwaltschaft ein gutes Wort für Sie ein. Einfach wird das nicht. Alle Staatsanwälte sind Frauen. Bei einem solchen Fall fordern sie die Höchststrafe und setzen sie meistens auch durch. Die Gerichte tanzen nach ihrer Pfeife, sie hüten sich davor, unter ihren Forderungen zu bleiben.«
Er registrierte, wie Nevo nervös wurde. Er schien die richtige Taktik zu verfolgen. Ein paar Streicheleinheiten, ihm ein wenig um den Bart gehen, dann wieder Angst einjagen.
»Brechen Sie mir jetzt bloß nicht zusammen, Nevo.« Er warf den Köder aus. »Wie ich bereits sagte: Wenn Sie ehrlich zu mir sind und mir alles erzählen, helfe ich Ihnen. Mein Bruder, gesegnet sei sein Andenken, hat über seine Kameraden im Bataillon immer wie über seine Familie gesprochen. Das mag Ihnen merkwürdig vorkommen, aber wenn ich Ihnen helfe, tue ich es gewissermaßen in seinem Namen. Sie müssen mir nur vertrauen. Vertrauen Sie mir, Nevo?«
Er nickte.
»Dann lassen Sie uns ein wenig über Adi Regev reden«, sagte er und goss erneut Wasser nach. Aus Erfahrung wusste er, dass es darauf ankam, dem Opfer im Gespräch mit dem Täter Gestalt zu verleihen, ihm einen Namen, eine Identität zu geben.
Nevo sah ihn verwundert an.
»Ja«, bekräftigte er, »so heißt sie. Sie wussten nicht, wie sie heißt, stimmt’s?« Nevo glitt sich wieder mit den Fingern durchs Haar, das ihm inzwischen zu Berge stand.
»Sie haben sie nicht gekannt, richtig?«, fuhr er fort und fixierte ihn. Die Phase, in der das eigentliche Verbrechen zur Sprache kam, war äußerst delikat. Man ging wie auf Eiern – ein Fehler, und der Verdächtige machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
Nevo schwieg. Er durfte ihn jetzt keinesfalls hetzen, musste seine Ungeduld im Zaum halten.
»Wenn Sie sie gekannt haben, ist Ihre Lage noch prekärer. Aber Sie haben sie ja nicht gekannt, stimmt’s?«, fragte er behutsam nach einer Minute des Schweigens.
Nevo schüttelte den Kopf.
Auch diese Phase konnte er als Erfolg verbuchen. War es jetzt an der Zeit, ihn ein schriftliches Geständnis unterschreiben zu lassen? Oder war es noch zu früh? Zweifelsfrei war er auf dem richtigen Weg. Die Frage war nun, wie weiter.
»Geht es ihr gut, dieser Adi?«, unterbrach Nevo seine Gedanken.
Eli Nachum sah ihn an, völlig perplex. Mit einer solchen Frage hatte er nicht gerechnet. Bereute Nevo etwa seine Tat? Wollte er ihn auf den Arm nehmen? Hatte er bisher eine Nummer abgezogen? Vergewaltigungstäter logen und manipulierten. Machte er sich über ihn lustig?
»Ja, so weit, sie ist auf dem Weg der Besserung.« Er hatte beschlossen, sich sein Spiel nicht verderben zu lassen.
»Freut mich zu hören«, sagte Nevo, sein Gesicht ließ Erleichterung erkennen.
Nachum gab sein Bestes, um sein Pokerface zu wahren, doch in ihm zog Gewitter auf. Was zum Teufel ging hier vor? Woher kam plötzlich diese Frage? Diese Empathie mit dem Opfer nach einer brutalen
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