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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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Regeln nicht eingehalten worden waren, würde die Wiedererkennung wie ein Kartenhaus einstürzen. Auch das Basecap, das sie in seiner Wohnung gefunden hatten und das dem von Adi Regev beschriebenen recht ähnlich war, würde keinen beeindrucken. Auch nicht die große Sonnenbrille. Auch nicht die Turnschuhe, deren Größe und Marke denen entsprachen, die der Täter getragen hatte. Er hatte ihre Reaktionen schon im Ohr: »Die meisten Männer haben diese Schuhgröße, und diese Marke ist sehr populär«, »viele Leute tragen dunkle Basecaps und vor allem Sonnenbrillen«. Es würde kein Ende nehmen. Herausreden konnte man sich ja immer. Die Kinder machten es in der Schule, Verdächtige bei der Polizei, Angeklagte vor Gericht.
    Er sah den Regentropfen beim Fallen zu, war wie hypnotisiert. Nevo hatte die Vergewaltigung begangen, daran hatte er keinen Zweifel, doch er konnte sich nicht erklären, warum er im letzten Moment einen Rückzieher gemacht und sich geweigert hatte, das Geständnis niederzuschreiben. Dafür konnte es Millionen von Gründen geben. Möglicherweise war ihm aufgegangen, dass er damit sein Schicksal besiegelte, und war erschrocken, möglicherweise hatte das Wort »Vergewaltigung« bei ihm Entsetzen ausgelöst. Vermutlich hatte er sich seine Tat bis dahin noch nicht eingestanden. Wer weiß. Es war auch nicht weiter wichtig. Es ging darum, ob er der Verbrecher war oder nicht. Und daran hatte er, wie gesagt, keinen Zweifel.
    Er hatte sogar Ohad und die anderen Ermittler der Einheit gefragt, was während der Vernehmung vorgefallen sein könnte. Er gehörte nicht zu den Leuten, die sich einbildeten, vor Fehlern gefeit zu sein. Sie waren alle derselben Überzeugung: Sie hatten den richtigen Mann.
    Ohad klopfte sanft an die Tür und trat ein. Nachum versuchte seine Gedanken abzuschütteln. Unterm Strich war Ohad ein guter Ermittler. Nach seinem Dafürhalten ein wenig zu politisch, zu sehr damit befasst, wie diese und jene Leute etwas aufnehmen würden, dennoch machte er seine Arbeit gut und lieferte Ergebnisse.
    »Wir müssen jetzt einen Gang zulegen«, sagte Ohad und deutete mit dem Kopf zur Wanduhr. In wenigen Stunden würde Nevo dem Haftrichter vorgeführt, um die U-Haft zu verlängern. So lautete das Gesetz: Innerhalb von 24   Stunden musste er einem Amtsrichter vorgestellt werden.
    Die Verhandlung machte ihm keine Sorgen. Angesichts der Beweislage und der geplanten Ermittlung würde der Richter die Haft anstandslos verlängern. Die Akte war nicht zugänglich. Nur der Richter durfte Einsicht nehmen. Weder der Angeschuldigte noch sein Verteidiger.
    Um die Haftverlängerung zu rechtfertigen, führten sie die einzelnen Ermittlungsmaßnahmen im Allgemeinen von A bis Z auf, wobei die Richter sich zumeist nicht einmal die Mühe machten, sie zu lesen. Sie mussten sich mit zu vielen Fällen herumschlagen, und es mangelte ihnen sowohl an Zeit wie an Geduld, daher waren sie bei Haftverlängerungen spendabel. Insbesondere in den Anfangsphasen der Ermittlungen und noch dazu, wenn es sich um ein Schwerverbrechen handelte.
    Hier lag nicht das Problem. Nach dem Einreichen der Anklageschrift galten der Bericht und die Anträge, die während der U-Haft gestellt worden waren, nicht länger als vertraulich, sämtliches Ermittlungsmaterial würde vor dem Angeschuldigten und seinem Anwalt offengelegt. Würde Nachum darlegen, wie die Wiedererkennung abgelaufen war, würde sie im weiteren Verlauf für ungültig erklärt. Sie würde keiner vom Gericht festgelegten Regel standhalten und berichtigen oder wiederholen ließ sich das Verfahren ohnehin nicht. Daher musste er pokern. Es war gut möglich, dass Nevo nach einigen weiteren Tagen der Vernehmung geständig wäre. Oder sie stießen auf neue Beweise. Unter Umständen auch nicht.
    Und wenn sie nichts Neues herausfänden oder Nevos Anwalt ihm raten würde, bei der Vernehmung den stummen Fisch zu spielen? Was dann? Die Identifizierung wäre nicht mehr relevant. Dann stände er mit leeren Händen da.
    Ohad übergab ihm die Liste mit den Ermittlungsmaßnahmen für den Richter. Wieder und wieder las Nachum die Beschreibung der Wiedererkennung. Das war dürftig. Er musste in größeren zeitlichen Abständen denken, die nächsten Schritte kalkulieren.
    Er seufzte und machte sich daran, einen neuen Bericht aufzusetzen. Ohad, der ihn von der Seite anblickte, klopfte ihm auf die Schulter und verließ den Raum.
    Sie hatten Nevo verhaftet, so schrieb er, da der Vater des vergewaltigten

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