Tag der Vergeltung
Opfers einen Mann beobachtet hatte, auf den die Beschreibung seiner Tochter passte und der sich spätnachts in ihrer Straße aufhielt und einen verdächtigen Eindruck machte: Er verbarg sich zwischen den Fahrzeugen, lauerte einer Frau auf, die dort entlanglief. Der Vater hatte angerufen und die Polizei darüber informiert, und sie hatten den Mann, infolge dieser Information, festgenommen. Eine Gegenüberstellung mit dem Opfer habe bisher noch nicht stattgefunden, schrieb er außerdem. Diese Maßnahme hätten sie für Sonntagmorgen vorgesehen. Wegen des Schabbats war es ihnen nicht möglich gewesen, dafür einen früheren Termin anzusetzen.
Wieder und wieder las er sich die Zeilen durch.
Er war nicht naiv. Er kannte nicht wenige Polizisten, die den Weg des geringsten Widerstands gingen. Zu der Spezies hatte er nie gehört. So wie er nie die Computerstatistik mit fabrizierten Daten gefüttert hatte, um sich auf der Karriereleiter voranzubringen, hatte er auch bis heute keinen Bericht eingereicht, der nicht der Wahrheit entsprach. Das tat er nun. Er habe in Gegenwart des Opfers keine Identifizierungsmaßnahme durchgeführt, schrieb er – obwohl diese durchaus stattgefunden hatte –, und erfand eine geplante Gegenüberstellung. Nur damit Nevo schuldig gesprochen würde.
Was war bloß in ihn gefahren?
Es war nicht allein, weil er Nevo für den Täter hielt. In der Vergangenheit hatte er häufig gemeint, den Täter zu haben, der ihm wegen allen möglichen höchst albernen Vorschriften zu entwischen drohte, nichtsdestotrotz war ihm dabei nie in den Sinn gekommen, über die Stränge zu schlagen.
Beugte auch er sich dem Druck, Fälle schnell zu den Akten zu legen? Belastete ihn die Tatsache, dass er in den letzten Jahren keine Beförderung erhalten hatte? Die Polizei war der Mittelpunkt seines Lebens, er hatte sich ihr verschrieben. Dass andere befördert wurden, Aufgaben übertragen bekamen, die ihm zustanden, nagte an ihm. Aus dem Grund war in den letzten Jahren auch sein Status innerhalb der Familie erschüttert worden, da brauchte er sich nichts vorzumachen. Er hatte spät geheiratet. Attraktiv war er nie gewesen, und von Natur aus war er ernsthaft und still, wodurch es ihm relativ schwerfiel, auf Frauen zuzugehen, unter Umständen schreckte sie das sogar ab. Leah war die jüngere Schwester eines früheren Kollegen aus der Einsatzmittelverwaltung. Sie waren nie ebenbürtige Partner gewesen. Sie sah zu ihm auf, da er die Entscheidungen für sie beide traf. So war es immer gewesen. Er hatte diese Rollenverteilung als bequem empfunden und angenommen, dass sie ebenso dachte. Erst in jüngster Zeit, vor allem seit er bei der letzten Beförderungsrunde wieder leer ausgegangen war, hatte sich in ihrer Beziehung etwas verändert. Leah begann herumzunörgeln, er würde sie im Haushalt nicht genügend unterstützen, und verlangte Dinge von ihm, für die er nie zuständig gewesen war.
Diese Gedanken machten ihm Kopfschmerzen. Warum quälte er sich mit diesem Unsinn?
Erneut nahm er sich seinen Bericht vor. Er hatte keine persönlichen Motive. Nevo war der Täter. Und Nachum verhinderte damit nur dessen nächste Vergewaltigungstat. Dafür konnte ihm keiner etwas anhaben.
13
Jaron Regev zögerte nicht einen Moment, bevor er Eli Nachum antwortete, dass er nichts zu befürchten habe und er sich auf ihn verlassen könne. Er und seine Tochter Adi würden kein Wort über die vorangegangene Identifizierung fallen lassen, das versichere er ihm. Die Dinge, die Nachum ihm dann sagte, erstaunten ihn, vor allem sein vorwurfsvoller Ton. Jaron Regev hätte nicht vermutet, dass sein persönliches Eingreifen derartige Probleme heraufbeschwören könnte. Gegen das Gesetz zu verstoßen und die Polizei in Schwierigkeiten zu bringen war ja nicht seine Absicht gewesen. Er hatte seiner Tochter helfen, ihr eine traumatische Erfahrung ersparen wollen, so hätte wohl jeder normale Vater gehandelt.
»Ziehen Sie es nur so schnell wie möglich durch« war seine einzige Bitte in Bezug auf die »vorschriftsmäßige« Gegenüberstellung, die Nachum veranstalten wollte.
Während Adi das Trauma verarbeitete, konnte es immer wieder Höhen und Tiefen geben; nicht jedes Verhalten konnte als Zeichen für eine Verbesserung oder Verschlechterung gewertet werden, hatte Adis Psychologin ihnen erklärt. Dennoch schien es Adi zu erleichtern, dass der Täter geschnappt worden war. Es tat ihr gut. War das nicht offenkundig? Beim Abendessen mit der Familie hatte
Weitere Kostenlose Bücher