Tag der Vergeltung
Weg hierher zurechtgelegt hatte. Danach ließe sich wesentlich entspannter reden.
»Ich war vom ersten Moment an unsicher …«, sagte sie, »aber mein Vater war so sehr davon überzeugt, dass er es war, und er wollte es so sehr von mir hören, dass ich es bestätigt habe. Genauso bei der Gegenüberstellung … Sie haben alle dort gestanden, von mir erwartet, dass ich auf ihn zeige, als wäre ich in einer Prüfung, bei der ich unter keinen Umständen durchfallen dürfte …«
»Keiner verlangt von Ihnen, dass Sie etwas sagen, bei dem Sie unschlüssig sind«, sagte er in versöhnlichem Ton. »Sie und ich haben ein gemeinsames Ziel: den Täter zu schnappen, denjenigen, der es wirklich getan hat. Sie und ich, wir sind auf einer Seite.«
Sie blickte ihn schweigend an, er konnte sehen, dass sich ihre Gesichtszüge leicht entspannten.
»Sollten Sie etwas anderes gedacht oder verstanden haben, bitte ich Sie um Entschuldigung … Das war nicht meine Absicht.«
»Also was wollen Sie jetzt unternehmen?«, fragte sie. »Denn wie ich Ihnen bereits sagte, bin ich nicht sicher …«
Sie kam ihm vor wie ein kleines Mädchen, das die Welt nicht verstand. Er war von ihrer Reaktion ein wenig enttäuscht.
»Was Sie für richtig halten«, sagte er. »Sehen Sie, der Angeschuldigte hat Ihre Vergewaltigung gestanden. Gleich am Anfang haben Sie den richtigen Mann wiedererkannt. Sie haben sich nicht geirrt, nicht einen Moment. Nicht Sie und nicht Ihr Vater, der ihn in Ihrer Straße gesehen hat und Sie nur beschützen will.«
Er hielt inne, um einschätzen zu können, wie seine Worte bei ihr ankamen. Zumindest widersprach sie ihm nicht, das machte ihm Mut. »Es ist ganz normal, dass Sie Befürchtungen hegen, dass bei Ihnen Zweifel aufkommen«, sagte er, »die haben viele Vergewaltigungsopfer. Doch ich kann Ihnen sagen, als jemand, der seit Langem bei der Polizei arbeitet, dass Sie sich nicht geirrt haben. Ihre Befürchtung, dass durch Ihre Zeugenaussage ein Unschuldiger im Gefängnis landet, ist unbegründet.«
»Wunderbar, ausgezeichnet, freut mich sehr zu hören«, sagte sie.
Der Übergang war zu abrupt: Erst kochte sie vor Wut und nun das. In ihrer Stimme schwang zu viel Zufriedenheit mit, als hätte sie bekommen, was sie wollte.
»Dann würde es Ihnen nichts ausmachen, wenn ich vor Gericht aussage, dass ich mir unsicher bin, ob ich den richtigen Mann identifiziert habe, dass ich von Anfang an unsicher war …?«, fragte sie ihn in gespielter Arglosigkeit.
Er musterte sie, versuchte zu verstehen, was sich in ihrem Kopf abspielte. Was war in der Zeit zwischen vorgestern und heute vorgefallen? Ihm war bei der Gegenüberstellung nicht entgangen, dass sie aufgeregt, von Unruhe getrieben gewesen war. Er hatte es für völlig normal gehalten. Trotzdem hatte sie Nevo in dem Moment, als es drauf angekommen war, identifiziert. Was war seitdem geschehen? Was hatte er verpasst?
»Adi, überlegen Sie einen Moment, ich weiß, dass Sie irritiert sind, sich unter Druck gesetzt fühlen …«
»Ich weiß, was Sie getan haben«, sagte sie, leise, aber entschieden.
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Michal, meine kleine Schwester, hat meine Eltern streiten hören und mir erzählt, worum Sie meinen Vater gebeten haben, wie Sie beide mich hinter meinem Rücken in etwas hineingezogen haben, als wäre ich eine Marionette.«
Er atmete tief durch. Jetzt galt es, die Beherrschung nicht zu verlieren. Sie war wütend. Sie war beleidigt, dass sie in die Sache nicht eingeweiht worden war. Es stand aber in keinem Zusammenhang zu der Frage, ob sie den Täter identifiziert hatte oder nicht. Sie wollte ihrem Ärger Luft machen, und er und ihr Vater boten sich dazu an.
»Warum hatten mein Vater und Sie Angst, dass sein Anwalt mich fragen könnte, ob ich ihn zum ersten Mal sehe? Warum war es Ihnen beiden so wichtig, dass ich lüge?«
»Ich denke, dass Ihre Schlussfolgerungen ein wenig voreilig sind. Ich habe Ihren Vater nicht darum gebeten, dass Sie lügen sollen. Das stimmt nicht, Gott behüte! Ihr Vater und ich wollten Sie einzig und allein vor ihm schützen. Verstehen Sie, diese Vergewaltigungstäter haben Rechtsanwälte, die sich einen Dreck aus Ihnen machen, die sehen nicht …«
Mit einem Ruck erhob sie sich vom Stuhl. Die Wut war ihr ins Gesicht geschrieben. Eli stand ebenfalls auf.
»Warum tun Sie das, Adi?«, fragte er und sah ihr in die Augen.
»Ich habe genug davon, dass ich hinters Licht geführt … belogen … dazu genötigt werde,
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