Tag der Vergeltung
Dinge zu tun, die ich nicht tun will!« Sie schrie jetzt, und in ihre Augen traten Tränen.
Sie war über ihren Ausbruch selbst erschrocken, so kam es ihm vor, sie war darüber entsetzt, dass sie »genötigt« gesagt hatte.
»Es besteht kein Grund, sich so zu fühlen …«, versuchte er weiter auf sie einzureden, sie umzustimmen, obwohl er an ihrem Blick ablesen konnte, dass sie ihm abhanden kam.
»Sie beide hatten nicht einmal den Anstand, mit mir zu reden, mich zu fragen!«
»Wir haben den richtigen Mann«, sagte er unbeeindruckt und ging nicht weiter auf ihre Vorwürfe ein. An ihrer Kränkung konnte er nichts mehr ändern. »Aufgrund Ihrer Aussage kommt er ins Gefängnis. Damit können wir sicherstellen, dass er keiner anderen Frau antun kann, was er Ihnen angetan hat. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn er auf freien Fuß kommt und wieder eine Frau vergewaltigt. Wie werden Sie sich dann fühlen?« Er arbeitete sich weiter voran. »Wenn Sie sagen würden, dass er es nicht ist, wäre das etwas anderes. Dann würde ich Ihnen raten, die komplette Aussage zurückzuziehen. Doch Sie sagen, dass Sie sich nicht sicher sind. Das ist etwas anderes. Sie stehen einfach unter Stress, das wird vorübergehen, Sie werden sehen …«
Sie nahm ihre Handtasche und schlang sie sich über die Schulter, gab ihm damit zu verstehen, dass ihre Unterredung beendet war.
»Ich hatte Ihnen gesagt, dass Sie damit aufhören sollen, oder nicht?«, zischte sie.
Er entgegnete nichts.
»Wissen Sie, warum ich mich dazu habe breitschlagen lassen, zu kooperieren? Wollen Sie es wirklich wissen?«, fragte sie. »Sie, mein Vater, Sie alle haben zu mir gesagt: Wenn du ihn identifizierst, wenn du auf ihn zeigst, ist alles vorbei, der ganze Albtraum ist vorüber. Und ich habe Ihnen geglaubt, ich habe geglaubt, dass ich nach meiner Aussage, nach der Identifizierung endlich schlafen kann. Aber wissen Sie was, genau das passiert nicht. Ich kann immer noch kein Auge zumachen, ich liege nach wie vor die ganze Nacht wach und sehe ihn vor mir.«
* * *
Der Kopfschmerz, der sich im Laufe des Gesprächs mit Adi Regev eingestellt hatte, hämmerte jetzt auf ihn ein. Er konnte die Dinge einfach laufen lassen, vorgeben, dieses Gespräch hätte nie stattgefunden. Die Staatsanwaltschaft würde eine Anklageschrift einreichen. Bis zum Prozess würden einige Monate verstreichen. Wobei es fraglich war, ob überhaupt einer stattfände. Möglicherweise würde es zu einer Vereinbarung über das Strafmaß kommen. Und auch wenn es nicht dazu käme, könnte es sein, dass sie sich bis dahin beruhigen, ihrem Vater verzeihen würde, einsähe, dass diese Sturheit kindisch war. Obwohl sie mehrmals wiederholt hatte, dass sie bei der Identifizierung unsicher gewesen sei, lag es für ihn auf der Hand, dass der Auslöser für diesen Ausbruch die Kränkung war, die sie empfand, und die Ohnmacht, die jede vergewaltigte Frau am eigenen Leib erfahren hatte.
Doch trotz der großen Versuchung wusste er, dass er die Dinge nicht weiterlaufen lassen konnte. Es gab rote Linien, die durfte man nicht übertreten, und eine Information wie diese durfte er nicht für sich behalten. Solche Dinge konnten leicht herauskommen und dann drohte ein Riesenskandal. »Polizei hat vor Staatsanwaltschaft und Angeklagtem kritische Informationen verheimlicht«, er sah die Schlagzeile schon vor sich. Es würde die Glaubwürdigkeit der Polizei noch mehr diskreditieren und auf andere, nicht weniger wichtige Fälle projiziert werden.
Er setzte sich und schloss die Augen. Er hatte sich eingebildet, der Fall läge schon hinter ihm. Morgen früh sollte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift einreichen.
Mit dem erfolgreichen Abschluss dieses Falls hatte er seiner Umgebung unter die Nase reiben wollen, dass er sehr wohl wusste, was er tat, und kein alter Gaul war, der sein Gnadenbrot verdient hatte.
Doch bei Polizei und Staatsanwaltschaft würde man nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn er sie davon in Kenntnis setzte, was er sich im Zusammenhang mit der Gegenüberstellung geleistet hatte. Sie würden ihn Spießruten laufen lassen, er müsste Vorwürfe schlucken, sich rechtfertigen, Erklärungen liefern.
Er griff zum Telefonhörer und wählte. Und ließ es dreimal klingeln. Sollte er auflegen? Womöglich machte er einen Fehler. Sollte er die Dinge vielleicht doch einfach laufen lassen und abwarten, wie sie sich entwickelten? Er ließ es noch zweimal klingeln. Besser doch nicht überhastet handeln und
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