Tag der Vergeltung
war.
»Von jetzt an, Giladi, kein Mitleid mehr, ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt. Junge, leg dir endlich eine raue Schale zu!«, rief er ihm nach, als er das Büro verließ.
»Ja, kein Mitleid mehr«, stimmte er leise zu.
30
Eli Nachum saß in seinem Wagen und wartete geduldig, bis Ohad Bar-El das Dienstgebäude verließ. Als er aus der Zeitung von der zweiten Vergewaltigung erfahren hatte, war er recht zuversichtlich gewesen, aus dem Zwangsurlaub geholt zu werden. Doch nichts dergleichen. Sie hatten ihn nicht einmal konsultiert. Nach mehr als zwanzig Jahren Polizeidienst war es mit einem Schlag aus und vorbei, als wäre er nie dabei gewesen.
Was hatte er eigentlich erwartet? Er war sich doch darüber im Klaren gewesen, dass es ordentlich Kritik hageln würde – gegen ihn. Bestimmt waren sie der Ansicht, die zweite Vergewaltigung habe er zu verschulden, daher machten sie ihm Vorwürfe. Hätte er bei der Ermittlung keine Fehler gemacht und nicht zugelassen, dass der Vergewaltiger auf Bewährung rausgekommen war, wäre die zweite Tat verhindert worden. »Die Polizei hat aus den Versäumnissen und Irrtümern, die in der Sache offenkundig geworden sind, die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen«, so die Entgegnung des Pressesprechers auf die Kritik der Medien und die Schlagzeilen, in denen die Polizei als dermaßen hilflos dargestellt wurde, dass sie einen Vergewaltigungstäter wieder auf die Straße lasse. Dieser Amit Giladi war längst nicht mehr der Einzige. Inzwischen war es die reinste Treibjagd. Zwar hatte es ihm keiner mitgeteilt, doch zweifellos spielten die »entsprechenden Schlussfolgerungen« auf seine Kündigung an – seine Laufbahn bei der Polizei war damit beendet.
Auf der Wache hatte er nur noch wenige Freunde. Einer hatte ihm gesteckt, dass sich sämtliche Ermittlungen, wie er gehört habe, auf die Suche nach Ziv Nevo konzentrierten. Nur waren bisher sämtliche Maßnahmen der Polizei erfolglos. Er war wie vom Erdboden verschluckt.
Eli stimmte der Hypothese zu, dass es sich um denselben Täter handelte: die ähnliche Vorgehensweise, die Nähe der beiden Tatorte, die Ähnlichkeit der Opfer, die Brutalität. Natürlich war es möglich, dass sie es mit einem Nachahmungstäter zu tun hatten, doch plausibel schien es ihm nicht. Die Vergewaltigung eines Opfers löste eine solche Reaktion normalerweise nicht aus.
Diese zweite Vergewaltigung, so schlimm sie auch war, bedeutete für ihn eine Chance, zur Polizei zurückzukehren, seine Fehler wiedergutzumachen. Er würde den Fall knacken und ihnen Nevos Kopf auf dem Silbertablett servieren. Es war nur eine Frage der Zeit. Und er brauchte keine Berichte zu schreiben. Außerdem musste er bei seinen Ermittlungen keiner vorgegebenen Leitlinie folgen, sich weder rechtfertigen noch Ausreden finden und den Vorgesetzten nicht jeden Schritt erläutern. In gewisser Weise hatte er jetzt Ressourcen, die ihm als Polizist nicht zur Verfügung gestanden hatten, vielmehr hatte er vorher stets eine Genehmigung einholen müssen, wenn er außerhalb der regulären Dienstzeit in Aktion treten wollte.
Fünf Minuten vor neun beobachtete er, wie Ohad die Wache verließ. Er stand am Eingang und gab zwei Leuten die Hand, die Nachum bestens bekannt waren: Ja’ir Bar, der Reporter für Verbrechen der Zeitung Ma’ariv , und Amit Giladi.
Nachum verfolgte die Szene mit Abscheu. Er gehörte einer Generation von Polizisten an, die zu den Medien nur wenig durchsickern ließen, bloß Kontakt mit Journalisten aufnahmen, wenn es die Ermittlungen erforderten. Die Zeiten hatten sich jedoch geändert. Der Umgang mit den Medien war Teil der Arbeit geworden. Hätte er das rechtzeitig realisiert, befände er sich jetzt möglicherweise nicht in diesem Schlamassel und seine Zukunft stände nicht auf dem Spiel.
Als die drei vom Parkplatz gefahren waren, stieg er aus und machte sich auf den Weg zur Wache. Ohad war ein guter Ermittler, aber diesem Fall war er noch nicht gewachsen. Ihm fehlten noch einige Berufsjahre, ein wenig mehr Erfahrung und Reibung. Der Druck der Vorgesetzten, Nevo zu finden, würde kaum helfen. Wenn er sich die Akte mit sämtlichen Einzelheiten vorknöpfen könnte, fielen ihm vielleicht Dinge auf, die Ohad verborgen geblieben waren.
Der Wachmann am Eingang warf ihm einen verblüfften Blick zu. Der Gedanke, dass er nach zwanzig Dienstjahren darlegen müsste, warum er in sein Büro wollte, trieb ihm die Galle ins Blut.
»Hab auf meinem Schreibtisch was
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