Tag der Vergeltung
die Nerven zu gehen, die nicht wissen, ob ihre Tochter leben oder sterben wird, soll Journalismus sein?« Amit konnte sich nicht länger beherrschen.
»So ist es, du feiges Püppchen«, Dori schmunzelte triumphierend, »das gehört in der Tat zu unserem Job. Das habe ich dir schon mal erklärt. Ich dachte, wenigstens das hätte sich dein Spatzenhirn gemerkt.«
»Lass die Eltern aus dem Spiel.« Amit beschloss, das Thema zu wechseln und die Beleidigung wegzustecken. »Die Eltern haben mit der Story nichts zu tun. Bei der Story geht es darum, wieso Staatsanwaltschaft und Polizei einen Vergewaltiger auf freien Fuß setzen konnten, der jetzt offenbar die nächste Tat begangen hat. Das ist die Sache, an der ich dran bin …«
»An welcher Story du dran bist, bestimme immer noch ich.« Dori wurde laut. Aus dem Augenwinkel sah er, wie in der Redaktion alle aufhorchten und zu ihnen herüberschauten.
»Jetzt reicht’s aber!«, schrie Dori. »Ich habe die Nase voll davon, euch durchzufüttern! Ich werde dir mal demonstrieren, wie man das macht. Ich werde euch zeigen, was ein richtiger Journalist ist, vielleicht lernt ihr ja endlich mal was dazu …«
Amit starrte ihn wortlos an, er war wie gelähmt von diesem heftigen Wutausbruch, dabei war Dori meistens schlecht gelaunt.
»Was guckst du mich denn so blöd an?« Seine Stimme donnerte. »Auf welcher Station liegt sie?«
* * *
Amit saß vor Doris Büro und wartete darauf, von ihm empfangen zu werden. Sie waren schon vor einer Viertelstunde verabredet gewesen, doch Dori ließ ihn absichtlich draußen schmoren. Amit rechnete damit, gefeuert zu werden; wie immer würde Dori unter die Gürtellinie zielen und ordentlich toben.
»Hier, lies«, bellte er ihn an, als er nach einer halben Stunde Wartezeit das Büro betreten durfte.
Er las verwundert, was auf dem Papier stand, das Dori ihm in die Hand drückte. Dori feuerte seine Leute leidenschaftlich gern mündlich, von Angesicht zu Angesicht, nicht schriftlich.
»Lies, lies«, forderte er ihn auf, »sieh dir an, wie man das macht. Schließlich habe ich deinen Job erledigt …«
Zunächst verstand er nicht, wovon Dori redete. Die Nachfrage, wo Dana Aronov liege, hatte er nicht weiter ernst genommen, sicher wieder nur eine Demütigung vor den Kollegen. Doch er hatte sich geirrt. Erleichterung überkam ihn. Seit gestern lief er durch die Gegend, als wären ihm die Flügel gestutzt worden. Trotz allem hatte sein Job auch Vorteile – es gab durchaus Momente, in denen ihn das Glück nicht verließ, und fiele ihm eine Exklusivmeldung in die Hände, könnte er zu einer überregionalen Zeitung aufsteigen, und manchmal, aber nur manchmal, ließ sich Einfluss nehmen, etwas verändern.
Rasch überflog er den Artikel. »Die Mutter weint«, »der Vater zündet sich eine Zigarette nach der anderen an«, »die Schuld trägt die Polizei«, »Ziv Nevo«, »der Urlaub mit der Freundin in Eilat« – die Zeilen tanzten vor seinen Augen.
»Giladi, das ist deine letzte Gelegenheit«, sagte Dori jetzt, »es wird keine weitere geben.«
»Ich verstehe, na klar …«, murmelte er, während er sich aufs Lesen konzentrierte.
»Obwohl du deinen Arsch nicht in Bewegung gesetzt und herumgezickt hast wie eine Jungfer, wird unter diesem Artikel dein Name stehen«, fuhr Dori fort.
Amit schluckte die Kröte, was sollte er machen? Redakteure setzten ihren Namen normalerweise nicht unter Artikel. Nicht einmal unter die, die von ihnen stammten. Er hätte gern auf diese Ehre verzichtet. Soweit er gelesen hatte, triefte Doris Text vor Sentimentalität. Einen solchen Duktus hatte er befürchtet, wenn er mit den Eltern der vergewaltigten Frau »über ihre Gefühle« reden würde.
»Wir müssen diesem Vergewaltiger einen Namen geben, einen, der reinhaut. Ich habe das Gefühl, dass er eine ganze Weile das Feld beherrschen wird, vor allem weil die Polizei mit einer solchen Impotenz gesegnet ist«, riss Dori ihn aus seinen Gedanken.
»Was hältst du von ›Der Vergewaltiger aus dem Norden‹?«, schüttelte er aus dem Ärmel.
Dori verzog das Gesicht, zu Recht.
»Geh zur Polizei, rede mit ihnen, finde raus, was sie über ihn wissen, vielleicht bringen uns diese Schnarchzapfen auf eine Idee. Es muss etwas sein, das ihm Charakter verleiht.«
»Vielleicht heult er ja am Ende und bittet um Vergebung oder im Gegenteil – er droht ihnen? Schneidet ihnen die Haare ab? Nimmt ihre Slips mit?« Amit registrierte, dass Dori mit seinen Einfällen zufrieden
Weitere Kostenlose Bücher