Tag der Vergeltung
sich.
Ziv lächelte sie an. Diesen Augenblick hatte sie den ganzen Tag gefürchtet. Vor anderthalb Jahren hatte sie ihn aus ihrem Leben verbannt, seitdem hatten sie nie wieder Zeit miteinander verbracht. Sie hatte sich an die Instruktionen ihres Rechtsanwalts gehalten, doch das war nicht der einzige Grund gewesen, mit ihm nicht allein sein zu wollen. Sie war so voller Zorn, dass sie seine Gegenwart nicht ertrug, ihm nicht in die Augen sehen konnte.
Nun waren sie auf einmal unter sich, in diesem schönen Haus im Herzen der Arava, mitten im Nirgendwo. Untergetaucht, weil er gewisse Dinge getan hatte, über die sie nichts wusste.
Nachdem er sie in der Warteschlange überrascht und ihr eröffnet hatte, dass Gili in Gefahr sei, war sie wie gelähmt gewesen. Sie hatte furchtbare Angst bekommen. Sie hatte die Polizei rufen wollen, es jedoch gleich wieder verworfen. Ziv hatte sie gewarnt, es sei unnütz und Gili würde weiterhin bedroht werden. Obwohl sie wütend auf ihn war, wusste sie, dass er nie wissentlich etwas tun würde, was Gili in Gefahr bringen könnte. Sie entschied, weder die Eltern noch den großen Bruder anzurufen. Sie wollte sie nicht auch noch mit in die Sache hineinziehen. Hauptsächlich aber fühlte sie sich ins Chaos gestürzt und ratlos, sodass sie die Ratschläge und Meinungen anderer nicht mehr ertrug.
Am Ende beschloss sie, Zivs Vorschlag zu folgen, und rief vom Büro aus Orith an. Orith war ihre Freundin, die am Unabhängigkeitstag stets Picknicks im Hof ihres geräumigen Hauses ausrichtete, und Merav hoffte, dass sie für sie und Gili Platz hätte. Orith wollte in zwei Stunden zum Flughafen, um mit der Familie in den Skiurlaub zu fahren. Sie lud Merav und Gili in ihr Haus ein, ohne großartige Fragen zu stellen. Der Schlüssel fürs Haus sei im Hof, unter der Gasflasche vom Grill, meinte sie noch schnell.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, spürte Merav, wie sie die Kräfte verließen. Schon der Gedanke, mit Gili fertig werden zu müssen, der sich jeder Veränderung widersetzte, dann die Sachen zu packen und die lange Fahrt zu absolvieren und das alles allein bewältigen zu müssen, setzte sie matt. Bevor sie darüber nachdenken und es bereuen konnte, wählte sie eine Nummer, die sie in den letzten Monaten sehr selten angerufen, aber trotzdem im Kopf hatte.
* * *
Auf der Hinfahrt war zwischen ihnen kaum ein Wort gefallen. Er schien mit seinen Problemen belastet und zutiefst besorgt zu sein. Als er ins Auto gestiegen war, hatte er sie gebeten, ihren Eltern und der Kindergärtnerin Bescheid zu sagen, dass Gili und sie die nächsten Tage verreist seien und sie sich in dieser Zeit nicht melden würde. Dass er ihr Aufträge erteilt hatte, gefiel ihr ganz und gar nicht, und auf der Fahrt war ihr nicht nur einmal der Gedanke gekommen, die ganze Sache abzublasen und ihm zu sagen, er solle umkehren und sie nach Hause bringen.
Doch sie hatte sich auf die Zunge gebissen. Zum einen aus Angst, denn sie wusste nicht, was richtig war, vor allem jedoch Gili zuliebe. Er war überglücklich, seinen Vater zu sehen, war ihm in die Arme gesprungen, trällerte auf dem Rücksitz ein Lied nach dem anderen und setzte alles daran, sie beide zum Lachen zu bringen. Seine Freude über den scheinbaren Familienausflug tat ihr im Herzen weh. So lange versuchte sie nun schon zu verdrängen, wie sehr Ziv ihm fehlte. Ihr fehlte.
* * *
»Zu Hause macht er mich wahnsinnig, bis er endlich einschläft … Ich kann mich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so früh ins Bett ist.« Er folgte ihr ins Wohnzimmer, sie setzte sich in den einzelnen Sessel, um auf Nummer sicher zu gehen.
»Er war fix und foxy, er hat so viel gesungen und ist die ganze Zeit durch die Gegend gehüpft …«, sagte er und schwieg gleich darauf.
Diese Stille war eine einzige Strapaze. Den ganzen Tag hatte sich alles um Gili gedreht, krampfhaft hatten sie es vermieden, sich in die Augen zu schauen, wie zwei Arbeiter, die nebeneinander am Fließband standen. Erst als er ihren Salat gelobt hatte – sie hatten im Hofladen der Siedlung Gemüse gekauft –, hatte sie ihn verhalten angeschmunzelt und dann schnell weggeguckt.
Das Heulen eines Tiers durchbrach die Stille und ließ sie aufschrecken.
»Das ist nur ein Schakal«, sagte er, obwohl sie es ohnehin wusste, und lächelte sie wieder an.
Sollte sie sein Lächeln erwidern? Unzählige Fragen lagen ihr auf der Zunge, doch würde sie die stellen, würde er vielleicht wieder ausrasten, und mit
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