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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Grafen!
    Nicht faul unterdessen,
    Hat er zu springen
    Die Kühnheit besessen.
    Ist, Kopf voran,
    In ein Fenster geschnellt.
    Krrrach!
    Regnet’s Glas auf die
    Glotzende Welt.
     
    Da kracht’s schon wieder!
    Bricht eine Tür!
    Der Graf bahnt den Weg sich
    Mit sichrem Gespür.
    Smoking zerrissen,
    Feuerschein rot,
    Publikum wispert:
    »So ein Idiot!«
     
    Dann ist der Retter am Ziel.
    Strafft das Rückgrat,
    Zieht die Marquise sanft
    An sein Chemisett. –
    Wohl einer Dame, die
    Dermaßen Glück hat! –
    Qualmwolken ballen sich.
    Es brennt das Parkett.
     
    Doch was ist das? Finger
    Bohr’n sich in Brüste?
    Froschlippen saugen
    Am milchweißen Bauch? …
    Könnt’ einer glauben,
    Der’s besser nicht wüsste,
    Ein riesiger Phallus
    Zerteilte den Rauch!
     
    Wer unten stand, sah’s mit
    Entgeistertem Blick:
    Der Graf hat die Dame
    Von hinten ge… …nommen.
    Brust gegen Brüstung,
    Gestöhn und Gerammel,
    Bis Graf und Marquise gingen auf
    In den Flammen! …
     
    Nun mischt in den Rauch sich
    Ein Brausen und Stäuben:
    Feuerwehr’n nah’n, bimmeln
    Ohrenbetäubend,
    Wachtmeister pfeifen,
    Die Gaffer, sie weichen.
    Schutzhelme blitzen sich
    Leuchtmorsezeichen.
     
    Schon schwärmen aus sie
    Wie kupferne Drohnen,
    Drehfeuerleitern
    Gleiten nach oben,
    Tollkühn, trotz Teflon mit
    Todesverachtung,
    Steigen die Männer
    In Feuers Umnachtung.
     
    Und: Wasser marsch!
    Auf Verderb und Gedeih! …
    Spät kommt zum Hauptmann
    Der alte Lakai,
    Hängt ihm am Rocksaum
    Grad wie eine Klette:
    »Helft meiner Herrin! Oh!
    Ihr müsst sie retten!«
     
    »Herrin? Wieso?
    In dem Feuer war niemand!«,
    Spricht barsch der Hauptmann
    Und nestelt am Riemen.
    »Wir haben die Brandstätte
    Streng inspiziert.
    Ihre Marquise wurde
    Nicht extrahiert!«
     
    Tränen vergießt der
    Lakai, rauft den Bart sich,
    Alles glotzt stumm auf
    Den schwarzen Balkon.
    Da jault ein Motor hoch
    Auf hundertachtzig!
    Mit jault ein Hund, stirbt
    Auf grauem Beton …
     
    Jedermann zuckt,
    Starrt entgeistert ins Dunkel,
    Doch der Rolls-Royce,
    Er entkommt unerkannt.
    Löst sich in Luft auf …
    Nur kurz so ein Funkeln:
    Igelig blitzt da
    Brillant an Brillant!
     
    Feuerwehr, Pfaffen,
    Geheimpolizisten
    Suchen verzweifelt nach
    Einem Vermissten,
    Suchen – per Funk, Steckbrief,
    Spürhund, was weiß ich –
    Einen Herrn Grafen:
    So um die dreißig …
     
    Sie, meine werten Herren,
    die Sie unter Malachitsäulen sitzen,
    haben diesen Werwolf nicht zufällig gesehen?
     
    Die letzte Zeile erlischt. Das staatsfeindliche Poem löst sich in dunkle Luft auf. Die Vorhänge gehen hoch, Buturlin sitzt da und schweigt, die braunen Augen auf unseren Ältesten gerichtet. Der schaut sich nach uns um. Auf wen dieses Spottgedicht abzielt, ist sonnenklar. Ein Blick genügt, und wir sind uns einig. Der düstere Graf mit dem Brillantigel am Ring ist niemand anderes als Graf Andrej Wladimirowitsch Urussow, der Schwiegersohn unseres Gossudaren: Professor für Prozessrecht, Ordentliches Mitglied der Russländischen Akademie der Wissenschaften, Ehrenvorsitzender der Gelehrtenkanzlei, Vorsitzender des Russländischen Pferdebundes, Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Luftschifffahrt, Vorsitzender der Gesellschaft für den russischen Faustkampf, Busenfreund des Vorsitzenden der Kämmerei Ost, Besitzer des Südhafens, der Märkte Ismajlowski Rynok und Donskoi Rynok, der Baugenossenschaft »Moskauer Unternehmer«, der Moskauer Ziegelei, Mitinhaber der Westlichen Eisenbahnen. Und auch die Anspielung auf den Malachitsaal ist unzweideutig: Es handelt sich um einen neuen Saal, der, direkt unter dem Kremlkonzertsaal befindlich, als Erfrischungsraum für den Engsten Kreis und seine Vertrauten eingebaut wurde. Neu und deswegen neumodisch. Der Einbau des Malachitsaales hat zu einer Menge staatsfeindlicher Fragen angestiftet. O ja, es hat Gegner gegeben …
    »Seid ihr Opritschniki nun im Bilde?«, fragt Buturlin.
    »Wir sind es«, antwortet der Alte.
    »Fragt sich nur noch, wer der Verfasser ist.«
    »Die Laus entkommt uns nicht, keine Bange«, sagt der Alte und nickt. Dann fragt er, nachdenklich sein Kinnbärtchen zupfend: »Weiß der Gossudar davon?«
    »Aber ja!«, ertönt die majestätische Stimme, und wir ergehen uns in einer tiefen Verbeugung, bei der die rechte Hand das Parkett berührt.
    Inmitten des Kabinetts ist das Antlitz des Gossudaren erstanden. Aus dem Augenwinkel gewahre ich den goldschimmernden Rahmen rings um das geliebte schmale Gesicht mit dem brünetten

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