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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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einem Zwang heraus. Obwohl ich, natürlich, selbst schuld bin … ich ganz allein, das gebe ich zu … Es ist eine Sünde, ich bitte um Vergebung …«
    »Erzähl der Reihe nach.«
    »Gut. Ich erzähle alles. Ich werde nichts verheimlichen. Mit siebzehn war das … Ich lief die Ordynka lang und sah auf einmal, da brennt ein Haus, und in dem Haus hab ich eine Frau schreien gehört. Die Feuerwehr war noch nicht da, Leute haben mir zu einem Fenster raufgeholfen, und ich bin da rein, um ihr zu helfen. Und wie sie sich mir so an die Brust warf … Ich weiß nicht, mein Gossudar, was da mit mir passiert ist … wie eine Art Umnachtung … dabei war die Frau wahrlich keine Schönheit, im vorgerücktem Alter … jedenfalls habe ich … jedenfalls …«
    »Ja?«
    »Ich hab sie jedenfalls dort vergewaltigt, mein Gossudar. Man hat uns im allerletzten Moment noch aus dem Feuer rausgezerrt. Ja, und nach diesem Vorfall war ich wie umgewandelt – ich konnte einfach an nichts anderes mehr denken. Vier Wochen später bin ich im Heiligen Petrograd, gehe über den Litejny … und was sehe ich: Da brennt es schon wieder, im zweiten Stock. Meine Füße haben mich von ganz alleine die Trepperaufgetragen, ich hab die Tür aufgebrochen – keine Ahnung, woher ich plötzlich die Kraft dazu hatte. Drinnen war eine Mutter mit Kind, das hielt sie gegen die Brust gepresst und stand brüllend am Fenster. Ich hab sie von hinten … Beim nächsten Mal, noch ein halbes Jahr später, brannte in Samara der Schatzhof, da waren wir, mein seliger Vater und ich, zur Messe hingefahren, und deswegen …«
    »Das genügt. Wo hat es beim letzten Mal gebrannt?«
    »Bei der Fürstin Bobrinskaja.«
    »Wie kommt dieser Reimeschmied dazu, eine russische Fürstin als Marquise zu titulieren?«
    »Keine Ahnung, mein Gossudar. Vielleicht hat er etwas gegen Russland.«
    »Verstehe. Und jetzt sag ehrlich: Hast du den Brand selbst gelegt?«
    Der Graf erstarrt wie von einer Schlange gebissen. Schlägt die Luchsaugen zu Boden. Schweigt.
    »Ich frage dich, ob du dieses Haus angesteckt hast?«
    Der Graf tut einen tiefen Seufzer.
    »Euch zu belügen, fiele mir schwer, mein Gossudar. Ich tat es.«
    Ein Weilchen schweigt der Gossudar. Dann spricht er: »Über dein Laster mag ich nicht richten – jeder von uns hat vor Gott Rechenschaft abzulegen. Aber die Brandstiftung verzeihe ich dir nicht. Verpiss dich!«
    Urussows Antlitz erlischt. Wir fünf sind wieder mit dem Gossudaren allein. Seine Stirn ist umwölkt.
    »Puh«, seufzt der Gossudar. »Und so einem Schwein habe ich meine Tochter anvertraut.«
    Wir sagen nichts.
    »Passen Sie auf, Fürst«, fährt der Gossudar fort, »das ist eine innerfamiliäre Angelegenheit. Darum kümmere ich mich selbst.«
    »Ganz wie Ihr meint, Gossudar. Was machen wir mit dem Pasquillanten?«
    »Verfahrt mit ihm nach Recht und Gesetz. Obwohl … Vielleicht doch lieber nicht. Das könnte eine ungute Neugier anstacheln. Sagt ihm einfach, er soll so etwas fürderhin nicht mehr schreiben.«
    »Zu Befehl, mein Gossudar.«
    »Ich danke für eure Bereitschaft.«
    »Wir dienen dem Vaterland!«, intonieren wir mit einer Verbeugung.
    Das Bild des Gossudaren verschwindet. Wir schauen uns erleichtert an. Buturlin läuft im Kabinett auf und ab.
    »Was für ein Drecksack, dieser Urussow«, stößt er kopfschüttelnd hervor. »Sich so eine Blöße zu geben!«
    »Bloß gut, dass nicht wir die Suppe auslöffeln müssen«, bemerkt der Alte, sich den Bart streichend. »Trotzdem wüsste man gern, wer der Verfasser ist.«
    »Das haben wir gleich«, sagt Buturlin, geht zum Schreibtisch, nimmt dahinter Platz. Dann kommandiert er: »Schriftsteller zu mir!«
    Im nächsten Augenblick schweben 128 Schriftstellergesichter im Raum: alle gleich braungerahmt und zu einem exakten großen Quadrat formiert. Darüber schweben drei größere Bilder: der graubärtige Vorsitzende der Schriftstellerkammer Pawel Olegow mit dem immergleichen Märtyrerausdruck im aufgedunsenen Gesicht und seine beiden noch mehr ergrauten, mürrisch-bedripst dreinschauenden Stellvertreter Anani Memser und Pawlo Bassinja. Der trübe Ausdruck in diesen drei Gesichtern deutet darauf hin, dass sie sich über die Tragweite der anstehenden Unterredung im Klaren sind.
    »Wir gehen dann mal, Terenti Bogdanowitsch«, sagt der Alte und streckt dem Fürsten die Hand hin.
    »Schriftsteller – das ist Euer Fach.«
    »Alles Gute, Boris Borissowitsch!«, entgegnet Buturlin und legt seine Hand in die des Alten.
    Wir

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