Tag des Opritschniks, Der
zusammengeschmiedet, verschmolzen zum Großen Ring, bewehrt mit spitzen, nach außen gerichteten Dornen. Mit diesem Ring gelang es dem Gossudaren, das siechende, faulende, bröckelnde Land wieder an sich zu ziehen, den wunden, Blut und Wasser schwitzenden Bären. Und der Bär gesundete an Fleisch und Knochen, die Wunden verheilten, er setzte Fett an, die Krallen wuchsen. Weil wir ihn zur Ader gelassen, ihm das kranke, vom Feinde vergiftete Blut entzogen haben. Nun brüllt er wieder, der russische Bär, sodass die ganze Welt ihn hören kann. Nicht bloß in China und Europa, auch in Übersee lässt sein Gebrüll aufhorchen.
Ich sehe den Faustkeil des Alten rot blinken. Bei Tisch wird nicht ferngesprochen. Alle Faustkeile sind ausgeschaltet. Das rote Lämpchen heißt: Der Gossudar hat ein Anliegen. Unser Alter hebt seinen dukatengoldenen Keil ans Ohr, er klirrt gegen das Glöckchen.
»Zu Diensten, mein Gossudar.«
Alles am Tisch verstummt sogleich. Nur der Alte spricht.
»Jawohl, mein Gossudar. Verstanden … Wir sind schon unterwegs, mein Gossudar.«
Der Alte steht auf, ein schneller Blick geht über uns hinweg.
»Wogul, Komjaga, Tjaglo, mitkommen.«
Ah ja. Der Stimme des Alten höre ich an, das etwas passiert sein muss. Wir stehen auf, bekreuzigen uns und verlassen den Saal. Daran, wen der Alte ausgesucht hat, lässt sich erkennen, dass eine Gedankenarbeit bevorsteht. Alle vier haben wir Hochschulbildung. Wogul hat im Heiligen Petrograd Kämmerei studiert, Tjaglo in Nishni Nowgorod Bücherherstellung betrieben, und ich bin von Stufe drei der historischen Abteilungder Moskauer Staatlichen Universität Michajlo Lomonossow zur Opritschnina gegangen. Aber was heißt gegangen! Zur Opritschnina geht man nicht. Die sucht man sich nicht aus. Sie ist es, die dich aussucht. Oder noch genauer – wie der Alte zu sagen pflegt, wenn er ein bisschen gesüffelt und geschnüffelt hat: »Zur Opritschnina wird man getragen wie von einer Welle.« Und wie das geht! Die Welle trägt dich, dass dir der Kopf davon schwirr wird, das Blut in den Adern wallt, rote Blitze vor den Augen zucken. Doch genauso schnell kann diese Welle dich auch wieder hinaustragen. Das geht ganz flott, und es ist unwiderruflich. Und ärger als der Tod. Aus der Opritschnina herauszufallen ist, als verlöre man beide Beine. Und wird den Rest seines Lebens nicht mehr gehen, sondern kriechen müssen …
Wir treten ins Freie. Vom Weißen Palais bis zum Roten Domizil des Gossudaren ist es ein Katzensprung. Doch der Alte biegt ab zu den Merins. Die Unterredung wird also nicht im Kreml sein. Wir steigen jeder in seinen Wagen. Der vom Alten ist ein Prachtstück: breit und flach, großäugig, dreifingerdicke Scheiben. Eine gute Arbeit der chinesischen Meister, ein Tezuode – so heißt bei ihnen, was wir Spezialanfertigung nennen. An der Stoßstange hängt der Kopf eines Schäferhundes, am Kofferraum der stählerne Besen. Der Alte lenkt den Wagen in Richtung Erlösertor. Wir fädeln uns hinter ihm ein. Fahren durch die Absperrung der Strelitzen zum Tor hinaus auf den Schönen Platz. Heute ist Markttag, die Stände nehmen fast den ganzen Platz in Beschlag. Die Marktschreier schreien, der Sbitenschenk pfeift, die Kalaschbäcker brummen im Bass, die Chinesen gellen im hohen Singsang. Es herrscht frostiges Sonnenwetter, über Nacht hat es frisch geschneit. Frohsinn herrscht hier, wo unser Land seinen Mittelpunkthat, Beschwingtheit. Als Junge habe ich den Platz noch ganz anders gekannt, nämlich als den Roten: hart und streng, furchteinflößend, mit einem granitenen Klotz in der Mitten, worin die Leiche dessen lag, der einst die Roten Wirren angezettelt. An seiner Seite klebte ein Friedhof, da lagen die Spießgesellen begraben. Ein finsterer Anblick. Der liebe Vater unseres Gossudaren hat den Granitklotz wegräumen und die Leiche des schieläugigen Unruhestifters in der Erde verscharren lassen, auch der Friedhof kam weg. Anschließend befahl er, die Kremlmauern weiß zu tünchen. Und nun erst konnte der Mittelpunkt unseres Landes werden, was sein Name vorgibt, denn das alte russische Wort »krasny« bedeutete nicht »rot«, sondern »schön«. Und das ist gut so.
Wir halten auf das Hotel Moskwa zu, fahren die Mochowaja entlang, am Nationalnaja vorbei, dem Bolschoi- und dem Maly-Theater, dem Metropolija, bis wir auf der Lubjanskaja Ploschtschad herauskommen. Dachte ich es mir doch, dass die Unterredung in der Geheimen Kanzlei stattfinden wird! Im Kreis fahren wir auf die
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