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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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lüsternen roten Lippen erscheint.
    »Komjaga! Wo steckst du?«
    Eine Stimme wie aus tiefster Brust. An ihr kann man hören, dass unsere Mamma eben erst erwacht ist. Schöne Augen hat sie, schwarz, mit samtenen Wimpern. Und dieser Augen Glanz ist allzeit heftig!
    »Unterwegs in Moskau, meine Gossudarin.«
    »Warst du bei der Praskowja?«
    »Jawohl, meine Gossudarin. Alles ist ausgeführt.«
    »Wieso rapportierst du nicht?«
    »Verzeiht, Gossudarin, ich bin eben erst gelandet.«
    »Dann flieg mal wieder los. Zu mir, aber hurtig!«
    »Zu Befehl.«
    Also wieder in den Kreml. Ich biege auf die Mjasnizkaja. Hier staut sich alles – Feierabendverkehr, ganz normal. Ich schalte den Staatshyperton ein, und prompt entsteht vor meinem Merin mit dem Hundekopf ein Tunnel, durch den ich zielstrebig bis zur Lubjanskaja brause, dort aber bleibe ich stecken, ein Scheißstau, der Herrgott verzeih, nichts geht mehr, ich muss mich gedulden.
    Feiner Schnee rieselt vom Himmel, bleibt auf den Karossen liegen. Bepudert steht auch unser bronzener Maljuta, von Sorgen gebeugt, blickt wie immer streng unter seinen buschigen Brauen hervor, auf uns herab. Zu seiner Zeit gab es noch keine Staus – es sei denn, bei ihm stauten sich Unmut und Zorn, dass die Ader schwoll.
    Am Kinderkaufhaus hängt ein riesiger Schirm mit bewegter Werbung für flauschige Fußlappen der Marke Swjatogor: Ein lockiger Bursche sitzt auf der Ladentheke, ein bildhübsches Mädchen im Kopfputz beugt vor ihm das Knie, in den Händen einen ladenneuen Fußlappen. Eine Balalaika klimpert, eine Harmonika schluchzt, der junge Mann streckt dem Mädchen seinen nackten Fuß entgegen. Das Mädchen umwickelt ihn mit dem Fußlappen, schiebt den Stiefel darüber. Stimme: »Fußlappen der Handelsgenossenschaft Swjatogor. Ihr Fuß fühlt sich wie in der Wiege!« Schnitt, eine geflochtene Wiege ist zu sehen, darin der in den Lappen gewickelte Fuß, schaukelnd, heiapopeia … Stimme des Mädchens: »Wie in der Wiege!«
    Das geht einem doch irgendwie ans Herz … Ich stelle das Teleradio Russ an, ordere »Eine Minute russische Poesie«. Ein etwas gereizt wirkender junger Mann deklamiert:
     
    Nebelumflort die Au
    Birke, wundgehackt
    Erde, schwarz und nackt
    Der Frühling ist spät
    Axt, schartig und grau
    Der Riss in der Birke blutet und klafft
    Über die Klinge rinnender Saft
    Zur Frühmesse lädt
     
    Einer von den Nachwuchsdichtern. Hat was. Stimmungsvoll … Nur wieso der Birkensaft zur Frühmesse laden soll, leuchtet mir nicht ein. Zur Frühmesse rufen die Glocken, und basta. Ein Stück weiter vorne bemerke ich einen Verkehrspolizisten im leuchtenden Mantel, ich rufe ihn über Funk.
    »Wachtmeister, räum mir mal den Weg frei!«
    Zu zweit – ich mit dem Hypersignal, er mit seiner Kelle – gelingt uns der Durchbruch. Ich steuere in Richtung Iljinka, drängele mich durch den Rybni und die Warwarka zum Schönen Platz, passiere das Erlösertor und fege hinüber zu dem Gebäude, wo die Gemächer der Gossudarin liegen. Überlasse das Auto den Türhütern in himbeerfarbenen Kaftanen, eile durch das granitene Portal. Wächter in goldbetressten Livrees halten mir die erste Tür auf, ich stürze in die mit rosa Marmor ausgekleidete Diele, stoppe vor einer zweiten Tür: ein mattleuchtendes Viereck, durch das man das Dahinterliegende sehen kann. Diese Tür ist eine einzige, von der Decke zum Fußboden reichende Lichtschranke. Zu beiden Seiten stehen Kremlgardeleutnants und sehen durch mich hindurch. Ich kontrolliere Geist und Atmung, bevor ich durch die Leuchttür trete. Diesem fetten Strahl bleibt nichts verborgen – nicht Waffen noch Gift, noch böse Hintergedanken.
    Ich betrete die Gemächer unserer Gossudarin.
    Ihre imposante Zofe empfängt mich.
    »Die Gossudarin erwartet Euch«, sagt sie mit einer Verbeugung und führt mich durch die geräumige Wohnung, eine endlose Kette von Zimmern und Sälen. Die Türen gehen geräuschlos von selbst auf. Gehen ebenso geräuschlos wieder zu. Endlich stehen wir vor dem fliederblauen Schlafgemach der Gossudarin. Ich trete ein. Vor mir auf dem breiten Bett liegt die Gemahlinunseres Gossudaren. Ich mache einen tiefen, ausführlichen Diener.
    »Grüß dich, Mordbube.«
    So tituliert sie uns Opritschniki immer. Es ist nicht etwa abwertend gemeint, bloß humoristisch.
    »Heil Euch, meine Gossudarin, Tatjana Alexejewna.«
    Ich hebe den Blick. Unsere Gossudarin ruht auf ihrem Lager in einem Nachthemd aus violetter Seide, passend zum zartlila Farbton des Zimmers.

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