Tag des Opritschniks, Der
… Das alte Russland weht dich an von dieser Leinwand. Dass du den Alltag vergisst, allen Ärger, die ganze Hatz. Die Lungen atmen russische Luft. Mehr brauchst du nicht. Und das ist gut so …
Peitschenknallen. Die Primaballerina Koslowa ruft an.
»Andrej Danilowitsch, ich hab das Geld zusammen.«
Das ist eine gute Nachricht. Ich verabrede mich mit ihr sogleich vor der Nationalbibliothek, nehme das Ledersäckchen in Empfang. Prall gefüllt mit Goldrubeln erster Prägung. Die nehmen wir auch.
Dann fahre ich weiter, die Mochowaja entlang.
Da schau, gegenüber der Alten Universität soll offenbar jemand ausgepeitscht werden. Interessant. Ich bremse ab, steuere an den Straßenrand. Es ist dies der Ort, wo die Intelligenzija gezüchtigt wird. Während auf der Maneshnaja die Landverweser bluten müssen und auf der Schädelstätte die Kanzleibeamten. Strelitzen nehmen die Sache in ihren Garnisonen selbst in die Hand. Und sonstiges Gesindel wird auf der Smolenskaja, der Miusskaja, am Moshajski Trakt und auf dem Marktplatz in Jassenewo traktiert.
Ich lasse das Seitenfenster herunter und rauche. Die Leute vor mir treten zur Seite, damit ich besser sehen kann. Wir Opritschniki werden im Volk respektiert. Oben auf dem Holzgerüst steht Schka Iwanow, der berühmte Büttel für die Moskauer Intelligenzija. Hier geht er manchen Montag seiner Arbeit nach. Das Volk kennt und verehrt ihn. Schka Iwanow ist ein kräftiger, untersetzter Mann mit heller Haut, mächtigem Brustkorb, Lockenkopf und runder Brille. Mit schallender Stimme verliest er das Urteil. Ich höre mit halbem Ohr hin, betrachte lieber die Leute ringsum. Ein Untersekretär Danilkow aus der Kanzlei für Wort und Schrift gehört gezüchtigt wegen »sträflicher Fahrlässigkeit«, so viel verstehe ich. Irgendeine Wichtigkeit wird er übersehen haben, falsch abgeschrieben, durcheinandergebracht und dann den Fehler vertuscht. Um das Gerüst drängen sich die Moskauer Intellektuellen, viele Studenten und Gymnasiastinnen darunter. Schka Iwanow rollt die Urkunde mit dem Urteil ein und schiebt sie sich in die Tasche, dann stößt er einen Pfiff aus. Sein Gehilfe Michi »Gänsefüßchen« erscheint, ein schmalschultriger, kahlrasierter Lulatsch mit ewig spöttischem Gesichtsausdruck. Seinen Spitznamen hat er davon, dass er immerzu wie in Anführungsstrichen zu reden scheint, auch nach jedem Wort die Hände beiderseits des Kopfes die entsprechenden Häkchen in die Luft malen lässt, wobei er gar höchlich einem Männchen machenden grauen Feldhasen ähnelt. An einer Kette führt Michi den Delinquenten Danilkow hinter sich her, einen gewöhnlichen Untersekretär mit langer Nase, der sich bekreuzigt und etwas in seinen Bart murmelt.
So laut, dass alle es hören, spricht Michi ihn an: »Pass nur auf, Landsmann, gleich heizen wir dir ein!«
Dazu fingert er seine Gänsefüßchen.
»Wir heizen dir so was von ein, da wird dir Hören und Sehen vergehen!«
Gänsefüßchen. Höhnisches Lachen aus der Menge, Applaus. Die Studenten pfeifen. Die beiden Büttel ergreifen den Untersekretär und fesseln ihn.
»Komm, leg dich fein hin, du kleines Stück Scheiße!«, ruft Schka und grient.
Bütteln und Armeevorgesetzten ist es in Russland erlaubt, sich drastisch und unfein auszudrücken. In Anbetracht ihrer schweren Tätigkeit hat unser Gossudar für sie eine Ausnahme gemacht.
Inzwischen liegt Danilkow gefesselt da, Michi setzt sich auf seine Beine, zieht ihm die Hosen runter. Den Narben nach zu urteilen, ist dieses Gesäß schon früher gepeitscht worden. Dem Untersekretär Danilkoa wird also nicht zum ersten Mal eingeheizt. Die Studenten pfeifen und johlen.
»So sieht’s aus, Landsmann!«, sagt Michi. »Die schöngeistige Literatur ist kein Motorrad!«
Schka schwingt die Knute und beginnt mit der Züchtigung. Und zwar so, dass zuzusehen eine Freude ist. Der Mann versteht sein Handwerk, er ist Büttel mit Herz und Seele. Verdient sich die Achtung des Volkes durch ordentliche Arbeit.
Die Knute tanzt auf dem Arsch des Untersekretärs, ein Streich von links, einer von rechts, und wandert dabei immer weiter. Auf dem Arsch bildet sich ein akkurates Gitter ab. Danilkow winselt und jault, seine lange Nase färbt sich puterrot.
Aber ich muss. Werfe meine Kippe einem Bettler zu und fahre wieder los. Zurück auf die Twerskaja und weiter. Mein Ziel ist der Konzertsaal auf dem Strastnoi Bulwar. Dort geht der Auftritt eines Sterns seinem Ende entgegen. Noch während der Fahrt rufe ich die
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